Die Beziehungsstrukturen sind in den letzten Jahren vielgestaltiger geworden, das derzeitige Familienrecht bildet diese nicht mehr ab. ISUV – Interessenverband Unterhalt und Familienrecht e.V. verweist insoweit auf den Göttinger Aufruf zur Modernisierung des Abstammungsrechtes, FF 2021/473 ff. Vor diesem Hintergrund begrüßt ISUV das Vorhaben der Bundesregierung, das geltende Abstammungsrecht zu reformieren, d. h. den gewandelten Lebensformen insoweit gerecht zu werden. Im Koalitionsvertrag hat sich die Regierung zum Ziel gesetzt, das Familienrecht zu modernisieren.
Mitmutterschaft
Im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber die Ehe für Personen gleichen Geschlechts geöffnet. Sind zwei Frauen verheiratet und bringt die eine Frau infolge einer Fremdsamenspende ein Kind zur Welt, ist das Bedürfnis der Ehefrau der Geburtsmutter anzuerkennen, kraft der Verehelichung Mitmutter zu werden. Derzeit scheitert die Mitmutterschaft am Wortlaut des § 1592 Nr. 1 BGB, wonach die zweite Elternstelle dem Mann vorbehalten ist. Dieser Sachverhalt kennzeichnet einen verfassungswidrigen Zustand – s. Vorlagen des OLG Celle, FamRZ 2021, 862 ff; KG Berlin, FamRZ 2021, 854 ff. an das Bundesverfassungsgericht, Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG –, insofern beseitigt die Reform begrüßenswerterweise den verfassungswidrigen Zustand. Will die Ehefrau der Geburtsmutter nicht rechtliche Mutter des Kindes sein, ist die Regelung konsequent, durch eine gemeinsame Erklärung des lesbischen Ehepaares die entstandene Mitmutterschaft gegenüber dem Standesamt beseitigen zu lassen.
Erweiterung der Rechte des leiblichen Vaters
ISUV stimmt der Verbesserung der Rechtsstellung des leiblichen Vaters zu.
Nach der derzeitigen Rechtslage hat nur der rechtliche Vater die Möglichkeit, statusunabhängig feststellen zu lassen, ob er der wirkliche Vater ist, § 1598a BGB. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung hat einen hohen Stellenwert. Auch der Mann, der annimmt, er sei der Erzeuger des Kindes, hat das Recht zu erfahren, ob es von ihm abstammt. Insofern ist die Erweiterung des statusunabhängigen Feststellungsverfahrens auf den mutmaßlichen leiblichen Vater zu rechtfertigen. ISUV erhebt keine Bedenken gegen die beabsichtigte Erweiterung der gesetzlichen Regelung.
Wird das Kind in eine Ehe hineingeboren, hat der leibliche Vater für die Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft des Ehemannes der Mutter die Sperrwirkung des § 1600 Abs. 2 BGB zu überwinden. Sofern die Reform die Sperrwirkung einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind lockert, wird sie zutreffender Weise den Interessen des leiblichen Vaters gerecht, zum Wohl seines Kindes auch rechtlicher Vater werden zu können. Die Kriterien für eine Lockerung des Anfechtungsrechtes sind in rechtlicher Hinsicht sachgerecht, als das Gericht im Einzelfall zu prüfen hat, ob das Interesse an der Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft durch den leiblichen Vater das Interesse am Fortbestand der Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kind und seinem bisherigen rechtlichen Vater überwiegt.
Sind sich der Ehegatte und die Kindsmutter einig, dass der leibliche Vater die Vaterschaft für das in die Ehe hineingeborene Kind anerkenne, sind gegen diese Form der Anerkennung der Vaterschaft im Wege der Willenseinigung keine Einwände zu erheben, da sie auch in § 1599 Abs. 2 BGB verankert ist. Ist eine Willenseinigung zwischen dem Ehegatten und der Kindsmutter herstellbar, dass der leibliche Vater rechtlicher Vater werde, vereinfacht sich dadurch die rechtliche Zuordnung des Kindes, da die nach geltendem Recht erforderliche Vaterschaftsanfechtung entfällt. Ob in der Praxis von dieser Form der Anerkennung Gebrauch gemacht wird, bleibt abzuwarten. Erfährt der Ehemann, dass er nicht der leibliche Vater sei, ist in der Regel die Ehe gescheitert. Inwieweit er dann gewillt ist, sich von seiner rechtlichen Vaterschaft zu lösen, indem er der Anerkennung der Vaterschaft durch den „Ehebrecher“ zustimmt, mag bezweifelt werden; er wird sich lebensnah auf eine sozial-familiäre Beziehung berufen, § 1600 Abs. 2 BGB und seine rechtliche Vaterschaft verteidigen.
Elternschaftsvereinbarung
Kritisch zu beurteilen ist als Rechtsinstitut die von der Reform vorgesehene Elternschaftsvereinbarung. Regeln über die Abstammung sind als solche nach der Rechtsordnung zwingendes Recht, d. h. der Disposition der Beteiligten entzogen. Wird durch die Elternschaftsvereinbarung den Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt, vor der Zeugung eines Kindes verbindlich abzusprechen, wer dessen rechtlicher Vater werden soll, tangiert dieses Rechtsinstitut den vorbezeichneten Grundsatz. Die Erwägungen des Justizministeriums, gerade bei privaten Samenspenden durch Elternschaftsvereinbarung den zukünftigen zweiten Elternteil vor der Zeugung des Kindes zu bestimmen, sind nicht überzeugend. Das Abstammungsrecht muss sich auf eine Statusklarheit stützen. Um diese Statusklarheit zu gewährleisten, ist das geltende Recht ausreichend, auch in Fällen von privaten Samenspenden. Die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern wird im geltenden Abstammungsrecht an eindeutige Tatbestände geknüpft im Interesse der Statusklarheit. Vertragliche Absprachen in Form einer Elternschaftsvereinbarung sind als Grundlage für die Festlegung einer Abstammung nicht geeignet. Das Zustandekommen und die Wirksamkeit vertraglicher Absprachen sind angreifbar. Dadurch bieten Elternschaftsvereinbarungen nicht die Gewähr, die gebotene Sicherheit für die Festlegung einer Abstammung herbeizuführen. Für jede Person ist ihre Abstammung ihr wesenseigenes Merkmal. Vor diesem Hintergrund ist die Abstammung rechtssicher festzulegen, was durch Elternschaftsvereinbarungen nicht zwingend möglich ist. Für die Elternschaftsvereinbarung besteht kein Regelungsbedarf.
Ergänzendes
Die weiteren Regelungen, die die Reform des Abstammungsrechtes enthalten, finden die Zustimmung des Verbandes. Leider lässt jedoch die Reform die Fortpflanzungsmedizin außer Betracht, insbesondere die Leihmutterschaft. ISUV erinnert an die Empfehlungen des vom Justizministerium eingesetzten Arbeitskreises Abstammungsrecht, der die Reformbedürftigkeit des geltenden Rechts vor dem Hintergrund der Fortpflanzungsmedizin angemahnt hat. Viele von Kinderlosigkeit betroffene Paare wünschen sich Kinder. Dieser Kinderwunsch lässt sich durch die Fortpflanzungsmedizin erfüllen. Die derzeitige Rechtslage erschwert jedoch den Wunscheltern, rechtliche Eltern zu werden. Das Recht hat die Aufgabe, gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und zu regeln. Vor dem Hintergrund der Fortpflanzungsmedizin erkennt ISUV dringenden Handlungsbedarf.