Reform Kindschaftsrecht: Eigenverantwortung der Eltern stärken – Verbundlösung zwischen Betreuungsrecht und Unterhaltsrecht

Seit 2014 wurden von verschiedenen Justizministern*innen immer wieder Reformen des Sorge- und Betreuungsrechts angekündigt. Aber immer wieder wegen Minister*innenwechsel aufgeschoben – und dann kam Corona. Jetzt liegen immerhin „Eckpunkte“ vor. Sind sie der erwartete Große Wurf?

Justizminister Buschmann ist mit dem Anspruch angetreten das Familienrecht zu modernisieren. Die Eckpunkte „für eine Reform des Kindschaftsrechts“ greifen gegenwärtige soziale Phänomene und Probleme auf:

  • Berücksichtigung neuer Familienformen, des Wechselmodells, „partnerschaftlicher Betreuung“
  • Berücksichtigung häuslicher Gewalt bei Betreuungsfragen
  • aktives Mitwirkungsrecht von Kindern, insbesondere von Jugendlichen ab 14 Jahren
  • Erweiterung des „Kleinen Sorgerechts“.

Buschmann will die „Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern ausbauen“, gut so. Er setzt auf Vereinbarungen der Eltern. Er erhofft sich dadurch, dass das „Kindschaftsrecht weniger streitanfällig“ wird.

Um diese notwendigen Ziele umzusetzen sind aus Sicht von ISUV rechtliche, aber auch praktische kommunikative Veränderungen notwendig, um den Kindern nach Trennung weiterhin beide Elternteile zu erhalten. „Nach eingehenden verbandsinternen Diskussionen sind wir der Überzeugung, dass die Eckpunkte grundsätzlich zu begrüßen, jedoch aber sehr weitläufig sind. Entscheidend wird sein, ob die Jugendämter mitziehen, sich nachhaltig engagieren und im Unterhaltsrecht entsprechende Reformen auf den Weg gebracht werden“, hebt die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich hervor.

Grundsätzlicher Strukturfehler

Unterhaltsrecht und Betreuungsrecht gehören zusammen, bedingen sich gegenseitig. Der Leitgedanke der Reform - Beide bezahlen – basiert auf der Interaktion beider Rechtsbereiche. ISUV fordert eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes, eine „Verbundlösung zwischen Unterhaltsrecht und Kindschaftsrecht“.

„Die Eckpunkte Unterhaltsrecht und Kindschaftsrecht müssen in engem Zusammenhang gesehen werden. Betroffene Eltern sehen und erleben das so. Wer regelmäßig Unterhalt zahlt, hat Anspruch auf Umgang. Wer regelmäßig betreut, hat Anspruch auf Entlastung beim Unterhalt. Grundsätze, Forderungen des Unterhalts- und des Betreuungsrechts müssen für beide Trennungseltern gelten“, betont Ulbrich.

Der Verband schlägt eine Änderung des §1671 BGB vor. „Trennungseltern dienen dem Kindeswohl nach Trennung und Scheidung, indem sie gemeinsam betreuen und gemeinsam für den Kindesunterhalt aufkommen. Entscheidungen der alltäglichen Betreuung (§ 1687 Abs. 1 S. 4 BGB) soll der Elternteil treffen, bei dem das Kind gerade wohnt.“

Eigeninitiative und Eigenverantwortung fördern

Durch die Reform sollen die Eltern Impulse bekommen, elterliche Sorge und Betreuung eigenverantwortlich zu gestalten, indem sie Vereinbarungen untereinander, aber auch mit „Dritten über sorgerechtliche Befugnisse“ treffen. Auf diese Weise können Eltern bei der Betreuung entlastet werden, Kinder leben in einem erweiterten familialen Netz.

„Was ist daran neu, das können die Eltern jetzt doch auch schon, natürlich müssen sie sich einig sein“, fragt ein ISUV-Mitglied. „Ja, Eltern können auch jetzt schon Personen Vollmachten ausstellen. Es ist sinnvoll, dass Eigeninitiative, Eigenverantwortung mittels Vereinbarungen ausdrücklich hervorgehoben werden“, sagt Melanie Ulbrich.

Ähnlich verhält es sich mit der Aufnahme des symmetrischen und des asymmetrischen Wechselmodells ins Gesetz. Damit werden Gerichte, Jugendämter – und Eltern ausdrücklich aufgefordert, das Wechselmodell aus seinem Schattendasein herauszuholen, das Wechselmodell zu fordern und zu fördern. Eltern werden ermuntert das Wechselmodell zu beantragen, sich in pragmatischer Eigeninitiative und Eigenverantwortung zu üben, allzeit das Kindeswohl im Blick zu behalten.

Wichtig und richtig ist auch die Berücksichtigung von häuslicher Gewalt in Sorge- und Betreuungsverfahren. Das ist nicht neu, aber künftig werden Familiengerichte intensiver Gewaltvorwürfe prüfen. „Dabei gilt es allerdings in Sorge- und Umgangsverfahren auch zu berücksichtigen, dass Gewaltvorwürfe manchmal missbräuchlich vorgetragen werden, ganz und gar nicht im Sinne des Kindeswohls“, gibt Ulbrich zu Bedenken.

Notwendige Nachbesserung

Die diskriminierende Rechtsstellung nichtverheirateter Väter und ihrer Kinder steht seit vielen Jahren in der Kritik. Betroffene Väter fordern Gleichstellung mit verheirateten Vätern, wobei zurecht auf andere europäische Staaten verwiesen. Dort ist die Gleichstellung verwirklicht. In den Eckpunkten wird diesen Vätern ein „kleines“ gemeinsames Sorgerecht zugestanden, allerdings unter Voraussetzung, dass sie mit der Mutter einen „gemeinsamen Wohnsitz“ haben. In diesem Fall kann der Vater eine „einseitige, beurkundete Erklärung“ abgeben.

Das ist weiterhin unbefriedigend, nichtverheiratete Väter fühlen sich zurecht weiterhin benachteiligt. ISUV fordert die gemeinsame Sorge aller Eltern für ihre außerehelich geborenen Kinder ab Geburt und nach Feststehen der Vaterschaft.

Die ISUV-Vorsitzende verweist in diesem Zusammenhang auf einen Widerspruch der Eckpunkte und fordert: „Es soll unterhaltsrechtlich eine einheitliche Berechnung des Betreuungsunterhalts zwischen ehelichen und nichtehelichen Paaren eingeführt werden. Wenn beim Betreuungsunterhalt angeglichen wird, dann aber auch beim Sorgerecht. Hier muss endlich entsprechend im Sinne des Kindeswohls nachgebessert werden.“

Eine Reform des Kindschaftsrechts, muss die Trennungssituation in den Fokus stellen. Entscheidend ist in dieser Phase, dass die Transformation der „Paarfamilie“ zur „Trennungsfamilie“ gelingt, die beiden Ehe-Maligen sich nicht verbittert zurückziehen und sich über Anwälte bekriegen. In den Eckpunkten heißt es dazu: „Zur frühzeitigen Vermeidung von Hochkonfliktfällen soll das Familiengericht eine Umgangspflegschaft künftig anordnen, wenn die Eltern dies übereinstimmend wollen.“

Das ist zu beliebig, denn die Übereinstimmung wird oft nicht gegeben sein, kann von einem Elternteil torpediert werden, insbesondere wenn er sich durch die ausschließlich anwaltliche Vertretung Vorteile erhofft.

ISUV fordert daher zur Durchsetzung der gemeinsamen Betreuung die Einführung einer Pflichtmediation. Staatliche und nichtstaatliche Stellen wie beispielsweise ISUV können insbesondere durch Erfahrung empathische Beratung und Coaching die Transformation zur Trennungsfamilie fördern. „Dabei muss es zuerst einmal darum gehen, das Vertrauen der betroffenen Eltern zu gewinnen und ihr Selbstbewusstsein für eigenverantwortliche Lösungen zu stärken“, sagt Melanie Ulbrich.
Diesen Transformationsprozess zu coachen und zu einer einvernehmlichen Scheidung zu führen, darin sieht ISUV eine zentrale Aufgabe der Kindschaftsrechtsreform. Im Zentrum des Coachings soll das Training von Bindungstoleranz beider Eltern stehen.

„Erst wenn trotz Beratung und Coaching keine Vereinbarung zustande kommt, entscheidet das Familiengericht. Betroffene Eltern sind zuvor über juristische Regelungen sachlich und transparent aufzuklären. Bei Trennung und Scheidung sollte der Grundsatz gelten: Erst wenn sich Eltern trotz Coaching , Beratung nicht einigen konnten, soll das Familiengericht entscheiden“, fordert Ulbrich.

Nach ISUV-Auffassung ist der im Grundgesetz, Artikel 6 verankerte Pflichtgedanke nicht berücksichtigt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Im Rahmen der Reform sollte auch die Pflicht zur Betreuung ins Gesetz geschrieben werden. „Ich denke, das kann auch ein sinnvolles Signal sein, Betreuung wahrzunehmen. Mich rufen auch Mütter an und fragen, wie sie den Vater dazu bringen können, die Kinder mitzubetreuen“, merkt die ISUV-Vorsitzende an.