Umgangsrecht - BVerfG - 17.02.2022
- Eine Verpflichtung zum Umgang mit dem Kind greift in das Persönlichkeitsrecht eines Elternteils ein, welches den Umgang gar nicht oder nicht in der gerichtlich geregelten Weise ausüben will. Dieser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist im Hinblick auf die Elternverantwortung gerechtfertigt, § 1684 BGB trägt diesem dadurch Rechnung, dass der Umgang mit dem Kind zur elterlichen Pflicht erhoben ist.
- Ein Umgang mit dem Kind der nur mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, dient in der Regel nicht dem Kindeswohl. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn ein umgangsberechtigter Elternteil den Umgang wünscht, diesen aber nur in geringerem Umfang wahrnehmen möchte, als gerichtlich festgelegt.
- Der Hinweis nach Ordnungsmittel nach § 89 Abs. 2 FamFG führt nicht zwingend bei Verstoß gegen eine Umgangsregelung zu einem Ordnungsmittel.
Beschluss:
Gericht: BVerfG
Datum: 17.02.2022
Aktenzeichen: 1 BvR 743/21
Leitparagraph: § 1684 BGB, § 89 FamFG, Art. 2 I, 1 I, 6 I GG
Quelle: NZFam 2022, Seite 397; FamRZ 2022, Seite 794
Kommentierung:
Der Vater von drei Söhnen aus einer geschiedenen Ehe hat das gemeinsame Sorgerecht mit der Kindsmutter. Er lehnte einen Umgang mit allen drei Kindern gleichzeitig ab, die Mutter beantragte hierzu gerichtliche Regelung. Das Gericht hat alle 14 Tage in der Zeit von Samstagvormittag bis Sonntagnachmittag Umgang mit allen drei Kindern festgelegt, darüber hinaus auch jeweils die erste Hälfte aller Schulferien. Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung bestätigt, insbesondere auch die hälftige Ferienregelung.
Das BVerfG stellt fest, dass es einem Elternteil grundsätzlich zumutbar ist, auch unter Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitssphäre zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient (so schon BVerfG, FamRZ 2008, Seite 845). Auf eine Gefährdung des Kindeswohles durch einen erzwungenen Umgang kommt es grundsätzlich nicht an (Abgrenzung zu BVerfG, FamRZ 2008, Seite 845). Die Kindswohldienlichkeit war hier festgestellt worden. Es reicht nicht, dass ein Umgang dem Kindeswohl nicht schaden würde, sondern der Umgang muss dem Kind überwiegend Vorteile bringen. Aufgrund des Sachverhaltes hat das BVerfG dies bejaht.
Die Abgrenzung zur vormaligen Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2008 ist zu begrüßen. Aus der Sicht des Kindes macht es einen erheblichen Unterschied, ob ein Elternteil sich grundsätzlich weigert, Umgang zu pflegen (so OLG Frankfurt, FamRZ 2021, Seite 432) oder ob grundsätzliche Bereitschaft besteht, Umgang zu pflegen, der dem Umgangspflichtigen „nicht zu anstrengend ist“ und seinen Urlaubsplänen nicht entgegensteht. Die Grundrechtsposition „Persönlichkeitsrecht Vater“ und das Kindeswohl sind im Einzelfall abzuwägen. Eine gerichtliche Umgangsregelung ist für den umgangsberechtigten Elternteil grundsätzlich verpflichtend, ob bei Verstoß ein Ordnungsgeld festzusetzen ist, ist dann Frage des Ordnungsgeldverfahrens. Wenn ein Vater keine grundlegende Abneigung gegen das Kind hegt und keine Kindswohlgefährdung zu erblicken ist, ist auch das Kindeswohl nicht gefährdet, sodass der Umgang auch gegen den Willen des Vaters festgelegt und auch zwangsweise durchgesetzt werden kann.