Ehescheidung - OLG - 02.11.2023
Eine gescheiterte Ehe kann auch dann zu scheiden sein, wenn ein Ehepartner an einer psychischen Erkrankung leidet und im Fall der Scheidung eine Suizidgefährdung nicht auszuschließen ist. Die Härteklausel des § 1568 BGB steht dem nicht zwingend entgegen.
Beschluss:
Gericht: OLG Hamm
Datum: 02.11.2023
Aktenzeichen: Az. 4 UF 87/23
Leitparagraph: § 1568 BGB
Quelle: beck-aktuell vom 08.01.2024
Kommentierung:
Der Ehemann ist infolge einer Alkoholabhängigkeit und einer psychiatrischen Erkrankung in einer Pflegeinrichtung untergebracht. Die Ehefrau hat ihren Mann in der Pflegeinrichtung nie besucht und dem Mann schon einige Jahre vor dem Scheidungsantrag ihre Scheidungsabsicht mitgeteilt. Im gemeinsamen Haus lebten sie auch schon längere Zeit getrennt, der Mann bewohnte den Keller. Der Ehemann hat einen Betreuer, der im Scheidungsverfahren eingewandt hat, dass die Scheidung den Mann psychisch stark belasten würde, hin bis zu suizidalen Absichten. Es wird auf ärztliche Bescheinigungen verwiesen wonach eigen- und auch fremdgefährdende Handlungen nicht unwahrscheinlich seien. Das Amtsgericht hat den Scheidungsantrag zurückgewiesen mit der Begründung, die Ehe sei nicht gescheitert, zudem würde eine Scheidung eine unbillige Härte für den Mann bedeuten.
Hiergegen legt die Ehefrau Beschwerde beim OLG ein und hat damit Erfolg. Das OLG sieht die Ehe als gescheitert an. Zwar könne eine eheliche Lebensgemeinschaft auch ohne eine häusliche Gemeinschaft noch bestehen, sodass eine Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung nicht zur „Trennung“ führt, im vorliegenden Fall hatte sich die Frau jedoch endgültig von ihrem Mann abgewandt und dies auch bewiesenermaßen entsprechend artikuliert. Ebenso wenig greift die Härteklausel des § 1568 BGB. Dies käme zwar in Betracht, wenn die Scheidung bei einem Ehegatten aufgrund seines Gesundheitszustandes zu einer Suizidgefährdung führt. Wenn jedoch eine zumutbare und erfolgversprechende Therapiemöglichkeit besteht, rechtfertigt eine psychische Erkrankung nicht die Anwendung der Härteklausel. Die Möglichkeit einer erfolgversprechenden Therapie sieht das Gericht schon in der dauerhaften Unterbringung des Ehegatten in der Pflegeinrichtung, da dort etwaige Suizidabsichten sowohl faktisch als auch durch Therapie „entgegengetreten“ werden kann.
Das Scheidungsrecht sieht grundsätzlich ein einjähriges Getrenntleben vor, um eine Scheidung auszusprechen, dann wenn ein Ehegatte die Ehegemeinschaft ablehnt und ein Gericht – wie im Regelfall – das Gescheitertsein der Ehe feststellt (§ 1565 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1566 Abs. 1 BGB). Stimmt ein Ehegatte der Scheidung nach Ablauf eines Trennungsjahres nicht zu, muss das Gericht darüber hinaus die Zerrüttung der Ehe feststellen, was im Regelfall bei eindeutigem Scheidungswillen eines Ehegatten der Fall ist. Anderenfalls Scheidung nach 3 Jahren (§ 1566 Abs. 2 BGB).
Von diesen Grundsätzen kann sowohl „in die eine Richtung“ als auch „in die andere Richtung“ abgewichen werden. So kann die Ehe vor Ablauf eines Jahres geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellt (§1565 Abs. 2 BGB). Diese Norm ist sehr restriktiv auszulegen. Die unzumutbare Härte muss sich darauf beziehen, dass es für den Antragsteller unzumutbar ist „weiter – miteinander – verheiratet – zu sein“. Das bezieht sich also auf das Eheband und nicht auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens. Das hat ein Gericht im Einzelfall zu prüfen.
Beispielsfälle aus der Rechtsprechung:
Bejaht bei Misshandlungen des anderen Ehegatten, es sei denn, einmaliger Vorfall im Affekt; starker Alkoholmissbrauch mit erheblichen Ausfallerscheinungen; öffentlich gelebte außereheliche Beziehung des Ehepartners, nicht der Seitensprung; schwerste Beleidigungen, demütigende Beschimpfungen in Verbindung mit Tätlichkeiten oder ernsthaften Bedrohungen.
Verneint bei bloßer Ablehnung des Ehegatten; Unkenntnis vorehelicher Umstände, wie Vorstrafen; Nichtzahlung von Unterhalt; Ehebruch stellt nach neuerem Verständnis nicht ohne weiteres einen Härtegrund dar, wohl bei Begleitumständen wie öffentliche Demütigung oder einer Schwangerschaft aus dem ehebrecherischen Verhältnis.
In der „anderen Richtung“ greift die hier streitgegenständliche Härteklausel des § 1568 BGB, wonach selbst bei Gescheitertsein der Ehe diese nicht geschieden werden soll, wenn ausnahmsweise und aus besonderen Gründen wegen gemeinsamer minderjähriger Kinder dies notwendig ist oder es für den einen Ehepartner eine besonders schwere Härte wäre, geschieden zu werden. Dass Kindesinteressen bei Trennung immer tangiert sind, reicht insoweit nicht aus, ein Härtefall läge vor bei ernstzunehmender Suizidabsicht eines Kindes. Bei dieser Kinderschutzklausel handelt es sich um ein restriktiv anzuwendendes Instrumentarium, ebenso bei der Ehegattenschutzklausel. Es würde den Rahmen dieser Urteilskommentierung sprengen, die Vielzahl der gerichtlichen Einzelfallentscheidungen hier aufzuzählen.
Die Besprechung dieses Urteils dient dazu, die Voraussetzungen einer Ehescheidung oder das Verhindern einer solchen in groben Zügen aufzuzeigen.