BGH, Urteile vom 26.10.2011 – Unterhalt, Ehegattenunterhalt, ehebedingte Nachteile
Behauptet der Unterhaltsberechtigte, Erwerbschancen durch die Rollenverteilung während der Ehe verpasst zu haben, hat er die Bereitschaft zum beruflichen Aufstieg und seine persönliche Eignung im Rahmen seiner ihm obliegenden (sekundären) Darlegungslast konkret vorzutragen.
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Urteil
Gericht : BGH Datum : 26.10.2012 Aktenzeichen : XII ZR 162/09 Leitparagraph : BGB §1578b Quelle : FamRZ 2012, S.93 Kommentiert von : RA Simon Heinzel
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Inhalt:
Das BGH-Urteil befasst sich mit der sogenannten sekundären Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten hinsichtlich ehebedingter Nachteile bei der Unterhaltsherabsetzung und –befristung. Nach der insoweit bereits gefestigten Rechtsprechung des BGH hat zunächst der Unterhaltsschuldner die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für eine Befristung sprechenden Tatsachen. Er muss zunächst darlegen und zumindest behaupten, dass dem unterhaltsberechtigten Ehegatten keine ehebedingten Nachteile entstanden sind. Der Unterhaltsverpflichtete müsste „negative Tatsachen“ (nämlich, dass keine ehebedingten Nachteile beim anderen entstanden sind) beweisen, dies wird dadurch erleichtert, dass in diesen Fällen den anderen, hier den Unterhaltsberechtigten, die sogenannte sekundäre Darlegungslast trifft. In der Praxis bedeutet dies, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte die Behauptung des anderen, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, umfangreich bestreiten und darlegen muss, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Hierzu gehört immer die Darlegung, ob und wenn ja, welche konkreten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bestanden haben und ob überhaupt eine persönliche Eignung hierzu bestand. Allein die Behauptung „ins Blaue“, dass man während der Ehezeit ohne die Aufgabenstellung in der Ehe (z. B. Kinderbetreuung – Haushaltsführung) Karriere gemacht hätte, reicht nicht aus.
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Im zugrunde liegenden Fall war die Ehefrau gelernte Schneiderin, die Berufstätigkeit endete mit der Geburt des 1. gemeinsamen Kindes. Die Ehe dauerte 20 Jahre, insgesamt 4 Kinder. Nach der Scheidung arbeitete die Frau Teilzeit (Kommissioniererin), wegen einer Krebserkrankung ist sie seit 2004 zu 50 % schwerbehindert. Nettoeinkommen ca. 950 Euro, der geschiedene Ehemann erhält seit 2008 Rente wegen vollständiger Erwerbsminderung. Das OLG hat einer Herabsetzung des Unterhalts zugestimmt, eine Befristung ebenso wie das Amtsgericht abgelehnt. Der BGH hat das OLG-Urteil aufgehoben, dies wegen der Versagung der Befristung, da das OLG gerade wegen der sekundären Darlegungslast der Unterhaltsberechtigten nicht ausreichend „ermittelt“ hat. Der BGH stellt klar, dass wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, weil eben die Erkrankung der Frau nicht als solche gesehen werden kann, die erzielten Einkünfte der Frau dem angemessenen entsprechen könnten. Der BGH weist jedoch auch darauf hin, dass auch dann, wenn keine ehebedingten Nachteile festgestellt würden, Augenmerk auf die sogenannte nacheheliche Solidarität zu legen ist, gerade im Hinblick auf eine lange Ehedauer und der Betreuung von insgesamt 4 Kindern.
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Das BGH-Urteil ist ein Musterbeispiel, wie der BGH den sogenannten Instanzgerichten vorgibt, wie mit Rechtsbegriffen umzugehen ist, im konkreten Fall mit den „ehebedingten Nachteilen“. Man kann trefflich darüber streiten, ob man mit der sogenannten sekundären Darlegungslast dem Unterhaltsberechtigten nicht zu hohe Hürden auferlegt. Der BGH relativiert diese hohen Hürden jedoch dadurch, dass es dem Unterhaltsberechtigten ermöglicht wird, etwa auch anhand vergleichbarer Karrieren Plausibilitätserwägungen zuzulassen. Dem BGH ist jedoch zuzustimmen, dass es nicht ausreicht schlichtweg zu behaupten, ohne Ehe hätte man eine bestimmte Karriere hingelegt, ohne dies mit irgendwelchen Fakten zu unterlegen. Natürlich ist es schwierig, hypothetische Lebensläufe konkret „zu untermauern“, ausreichend ist es jedoch nicht, ohne irgendwelche Anhaltspunkte berufliche Karrieren zu behaupten. Der BGH stellt klar, dass letztendlich der Unterhaltsberechtigte beweispflichtig ist für das Bestehen ehebedingter Nachteile, dies im Rahmen der sekundären Darlegungslast:
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Der Unterhaltspflichtige muss zunächst vortragen, dass dem Unterhaltsberechtigten keine ehebedingten Nachteile entstanden sind. Diese Behauptung muss der Unterhaltsberechtigte nachvollziehbar und substanziiert bestreiten und genau vortragen, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen, und zwar so detailliert, dass es dem Unterhaltspflichtigen möglich ist dies ggf. zu widerlegen. Zu differenzieren ist dabei zwischen Einkommensverbesserungen aufgrund einer üblichen Entwicklung und einem behaupteten, hypothetischen berufliche Aufstieg. Im ersten Fall reicht es aus, dass übliche Gehaltssteigerungen dargelegt werden. Die Einbeziehung von Erfahrungswerten ist zulässig. Der Unterhaltsberechtigte kann dies darlegen durch den Nachweis der tariflichen Einkommensentwicklung und der Vorlage entsprechender Unterlagen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen etc.). Zudem wird man auf Daten des statistischen Bundesamtes zurückgreifen könne (Borth, FamRZ 2010, S. 2063, Hauß, FamRZ 2011, S. 1725).
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Bei einem behaupteten beruflichen Aufstieg muss der Unterhaltsberechtigte darlegen, aufgrund welcher Umstände eine entsprechende Karriere gemacht worden wäre, welche Zwischenschritte durchgeführt er durchgeführt hätte und was das berufliche Ziel genau gewesen wäre. Dazu gehören Darlegungen zur persönlichen Seite wie Fortbildungsbereitschaft, fachliche Eignung, bestimmte Befähigungen, Neigungen, Talente, Vorkenntnisse, aber auch die objektiven Umstände wie Angaben zu notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen, Fortbildungskursen, Prüfungen etc. (BGH, FamRZ 2011, S. 1377). Dies wird in der Regel schwer darlegbar sein, eine höhere berufliche Position ist nur dann zu berücksichtigen, wenn eine solche mit hoher oder zumindest erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erreichen gewesen wäre. Allein das Bestehen einer theoretischen Chance für einen Aufstieg reicht für die Annahme eines ehebedingten Nachteils nicht aus.
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Bei den ehebedingten Nachteilen ist immer zu bedenken, dass Umstände des allgemeinen Lebensrisikos keinen ehebedingten Nachteil darstellen können. Dadurch sind Krankheiten oder das normale Arbeitsplatzrisiko nicht ehebedingt, ebenso wenig dass das voreheliche Berufsbild verlorengegangen ist oder wenn der Beruf bereits vor der Eheschließung aufgegeben wurde. Wie auch in der vorherigen Urteilsbesprechung ist darauf zu achten, dass auch bei Fehlen ehebedingter Nachteile die sogenannte „nacheheliche Solidarität“ von Bedeutung ist, ob eine Befristung des Unterhalts möglich ist oder nicht. Hierbei handelt es sich um eine im Einzelfall vorzunehmende Billigkeitsabwägung, bei der eine Vielzahl von Kriterien maßgeblich sein können (Betreuung der Familie, Finanzierung der Ausbildung, finanzielle Lage, ungesicherte Altersversorgung etc.). Die Dauer der Unterhaltszahlungen seit Getrenntleben/Scheidung im Verhältnis zur Ehedauer sowie der zeitliche Abstand von der Ehe führt zwangsläufig zu einer schwindenden nachehelichen Solidarität. All dies sind von einem Gericht abzuwägende Billigkeitskriterien und machen deutlich, dass durch Gesetz und Rechtsprechung nur ein „Korsett“ vorgegeben wird, im Übrigen im Unterhaltsrecht eine Einzelfallrechtsprechung gegeben ist.