Betrifft unterhaltspflichtige Geringverdiener: Wenn sich Arbeit nicht lohnt

Die Anhebung des Kindesunterhalts zum 1.Januar 2023 um 10 Prozent hat zu einer starken Zunahme von „Mangelfällen“ geführt. Viele Unterhaltspflichtige können jetzt den in der Düsseldorfer Tabelle geforderten Mindestunterhalt nicht vollständig zahlen, weil sie trotz Ganztagsarbeit zu wenig verdienen. Vielen bleibt für den ganzen Monat der Selbstbehalt von 1370 EURO, manchen bleibt nicht einmal der Selbstbehalt. Immer häufiger müssen Unterhaltsvorschusskassen einspringen, den fehlenden Unterhalt ausgleichen. Wenn der/die Unterhaltspflichtige mehr verdient, zahlt er/sie zwar mehr Unterhalt, aber der geht an die Unterhaltsvorschusskasse, nicht direkt ans Kind. Der/die Unterhaltspflichtige bleibt weiter auf dem Selbstbehalt sitzen.

Hintergrund: Stundenlohn – Kindesunterhalt  - Selbstbehalt  

Das Schaubild veranschaulicht , ein Unterhaltspflichtiger, der für zwei Kinder im Alter von 0 – 5 Jahren Unterhalt zahlen muss, kann den Unterhaltsforderungen der Düsseldorfer Tabelle nur gerecht werden, wenn er einen Stundenlohn von 20,50 EURO verdient. In der Altersstufe 6-11 Jahre ist ein Stundenlohn von 22 EURO erforderlich, in der Altersstufe von 12 – 17 Jahren ist gar ein Stundenlohn von 24 EURO nötig, um die DTB-Beträge leisten zu können. Konkret bedeutet das, ein oder eine Unterhaltspflichtige müssen mehr als das Doppelte des Mindeststundenlohns verdienen.

In Bezug auf das eigene Einkommen Unterhaltspflichtiger bedeutet das, ihm oder ihr bleiben mehr als 1500 EURO, wenn sie/er je nach Altersstufe der Kinder 22/24/28 EURO in der Stunde verdient.

Um diese Forderungen einordnen zu können, sollte man wissen: Der durchschnittliche Stundenlohn von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland lag im April 2022 bei 24,77 EURO, so eine Auswertung des Bundesamts für Statistik. Dies entspricht einem monatlichen Bruttogehalt von 4.105 EURO. Betrachtet man alle Arbeitnehmer in Deutschland, also auch alle Arbeitnehmer in Teilzeit oder in geringfügiger Beschäftigung, lag das durchschnittliche Gehalt im gleichen Jahr bei rund 3.199 EURO im Monat. Das durchschnittliche Nettoeinkommen aller Arbeitnehmer betrug monatlich 2.165 EURO.

Unberücksichtigt sind dabei folgende wichtigen Aspekte: Je nach Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Region, Branche und Größe des Unternehmens weicht das individuelle Gehalt davon jedoch stark ab. 

ISUV-Forderungen

„Das ist kurios, aber ausgerechnet bei unterhaltspflichtigen Geringverdienern, die den Mindestunterhalt nicht leisten können, lohnen sich Lohnsteigerungen nicht. Genauso kurios, auch bei ihren Kindern kommt dann kein Cent mehr an“, kritisiert die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich und fährt fort: „ Arbeit soll sich lohnen. Ausgerechnet bei  Unterhaltspflichtigen im Niedriglohnsektor gilt das nicht. Im Zuge der Kindesunterhaltsrechtreform muss sich da etwas ändern, insbesondere müssen die Betreuungsleistungen beider Eltern berücksichtigt, Geld- und Betreuungsleistungen gegenseitig aufgerechnet werden.“

Der ISUV-Bundesbeauftragte für Politik, Markus Witt fordert konkret: „Unterhaltspflichtigen muss von ihren Mehrverdienst mindestens die Hälfe bleiben.  Natürlich soll vom Mehrverdienst auch das Kind, die Kinder profitieren.“ Witt verweist gleichzeitig auf die langfristigen gesellschaftspolitischen Folgen: „Wenn sich Leistung nicht lohnt, die Trennungsfamilie von Mehrarbeit nicht spürbar profitiert, dann muss sich der Staat nicht wundern, wenn die Sozialsysteme noch mehr belastet werden, Unterhaltspflichtige, Trennungseltern in die Schwarzarbeit abwandern. Witt meint gar, dass aufgrund ausbleibender Rentenbeiträge „Altersarmut staatlich provoziert“ wird.

Armutsgrenze rückt in die Mittelschicht vor

Seit Jahren steigt die Zahl derjenigen, die Unterhaltsvorschuss in Anspruch nehmen müssen. Diese oft zu Unrecht als „Unterhaltspreller“ diffamierten Eltern leben an oder unter der Armutsgrenze, selbst wenn sie weit über dem Mindestlohn verdienen.

Die folgenden Beispiele sollen das verdeutlichen:

1. Arbeitnehmer in Vollzeit bezieht Mindestlohn

Arbeitnehmer schafft 160 Arbeitsstunden im Monat. Sein Bruttoverdienst  beträgt 1920 EURO, dies entspricht 12,00 EURO Stundenlohn. Er hat zwei Kinder im Alter von  9 und 11 Jahr. Sein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen beträgt - Netto abzüglich der Altersvorsorge von 4% und den berufsbedingten Aufwendungen von 5% - 1291 EURO.

2. Arbeitnehmer in Vollzeit mit höherem Stundensatz – gesicherter Kindesunterhalt

Der Arbeitnehmer schafft 160 Arbeitsstunden im Monat. Dafür erhält er einen Bruttoverdienst von 4240 EURO, dies entspricht einem Stundenlohn von 31, 25 EURO.   Er hat zwei Kinder im Alter von 9 und 11 Jahren. Sein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen beträgt - Netto abzüglich der Altersvorsorge von 4% und den berufsbedingten Aufwendungen von 5% - 2476 EURO.

Angemessene Betreuung ermöglichen

In Beispiel 1 hat der Unterhaltspflichtigen trotz Vollzeitarbeit lediglich ein Netto von 1291 EURO,  nicht einmal der Selbstbehalt von 1.370 EURO bleibt ihm. Entsprechend kann nicht einmal der Mindestunterhalt gemäß Düsseldorfer Tabelle gezahlt werden.

In Beispiel 2 kann der Unterhaltspflichtige den Unterhalt für zwei Kinder – 1106 EURO - zahlen. Von 4240 EURO Bruttoverdienst bleibt ihm dann noch der Selbstbehalt von 1370 EURO.

In vielen städtischen Regionen kann man damit ohne Sozialleistungen nicht leben.

Eine angemessene Versorgung der Kinder in den Betreuungszeiten ist mit dem Selbstbehalt nicht möglich. 

Nach geltendem Recht ist aber die Betreuung der Kinder durch den erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen „Privatvergnügen“. „Unsere Erfahrung seit Jahren, immer mehr Unterhaltspflichtige können eine angemessene Betreuung – Wohnung, Kleidung, soziale Teilhabe - ihrer Kinder schlicht nicht leisten. Hier muss sich jetzt etwas ändern“, fordert Markus Witt.

Ein Vergleich, den Unterhaltspflichtige häufig ziehen, Bezieher von Bürgergeld sind bessergestellt. Sie bekommen vom Staat eine angemessene warme Wohnung, haben Anspruch auf Regelbedarfe, womit die gemeinsame Betreuung von Trennungskinder gesichert ist.