Grundlegende Reform des Kindesunterhaltsrechts

Anschreiben & Mails von ISUV-Mitgliedern: Zitatencollage

Folgende Impulse, Fragen, Anregungen, überlegenswerte Fragen, berechtigte Beschwerden erhielten wir seit Erhöhung der Düsseldorfer Tabelle um 10 Prozent von – männlichen und weiblichen - ISUV-Mitgliedern. Ein repräsentativer Ausschnitt:

  • „Zahle für zwei Kinder, verdiene gar nicht so schlecht, aber stelle nach der Unterhaltserhöhung fest, das Bürgergeld rückt immer näher.“
  • „Im Gesetz ist die Lebensstellung des Kindes maßgeblich, laut DTB aber alleine die des Pflichtigen.“
  • „Von was soll man mit 1370 Euro Kaution, Umzug, etc. finanzieren?“
  • „Die Tabelle blendet komplett die Umgangskosten aus, die von der Justiz einseitig dem Unterhaltspflichtigen zugeordnet werden.“
  • „Welches Kind in einer Familie bekommt so viel Geld oder kostet so viel Geld. Der Geldfluss ist eindeutig zu hoch.“
  • „Die getrennten Väter müssen endlich entlastet und das Einkommen der Mutter endlich mit angerechnet werden!!!“
  • „Die Tabelle ist weltfremd, einseitig. Bei den Beträgen ist es kein Wunder, wenn viele Frauen nicht oder nur halbtags arbeiten gehen.“
  • „Ich wollte einmal fragen, ob es zum Thema der Höhe von Kindern ü18 auch Planungen oder auch Änderungswünsche seitens des ISUV gibt. Für mich stellt sich die Frage, weshalb ein Kind 1250 Euro Unterhaltsanspruch haben sollte. Hier sollte es doch eine Obergrenze geben. Immerhin entspricht das dem Einkommen von vielen Personen im Niedriglohnsektor. Meiner Meinung nach ist das eine absolute Maßlosigkeit.“
  • „Dynamische Titel berücksichtigen ausschließlich den steigenden Bedarf des Kindes, aber niemals den Selbstbehalt des Pflichtigen.“
  • „Der Unterhaltspflichtige ist immer allein für den ganzen Unterhalt zuständig, auch wenn der andere Elternteil schon immer gearbeitet hat.“
  • „Die von der Justiz eigenmächtig erstellte DTB ist Ausdruck der Anmaßung, selbst gesetzgeberisch tätig zu werden. In Rechtsstaaten ist das aber Aufgabe der Legislative.“
  • „Die DTB bewegt sich eigentlich in einem rechtsfreien Raum, de jure ist sie kein Gesetz, aber de facto schon. Alle halten sich sklavisch daran.“

In den folgenden Ausführungen greifen wir die Kritik auf, indem wir Reformvorschläge machen.

 

 

Paradigmenwechsel mehr Transparenz, Flexibilität, Gerechtigkeit

Die Höhe des Kindesunterhalts wird in Deutschland seit Jahrzehnten nach der Düsseldorfer Tabelle (DTB) festgelegt; gesetzliche Grundlagen der Unterhaltsrechtbestimmung verschwimmen. Dabei geht die Düsseldorfer Tabelle von Voraussetzungen aus, die so gar nicht mehr zutreffen. Die Düsseldorfer Tabelle wirft in Zeiten von Inflation Resultate aus, die nicht mehr überzeugen. Es ist daher Zeit, sich nach Alternativen umzusehen und zur Bestimmung der Höhe des Kindesunterhalts wieder von den Geldmitteln auszugehen, die bei den Trennungselternteilen tatsächlich vorhanden sind. An diesen Geldmitteln sollte den Kindern ein fester Anteil zustehen. Das Kindesunterhaltsrecht bedarf daher einer grundlegenden Reform.

Einführung: Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle

Wird in Deutschland vor Gericht um die Höhe des Kindesunterhalts gestritten, so geht es nicht, was zu erwarten wäre, um konkrete Beträge, die gefordert würden. Es geht nicht darum, ob der Trennungselternteil seinem Kind 500.- € oder 550.- € monatlich zu überweisen hat. Vielmehr streitet man darum, ob 100% oder 110% des Mindestunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle geschuldet werden. Schuldet ein Trennungselternteil, der monatlich über 3.000.- € verfügt, einem fünfjährigen Kind Unterhalt, so werden auch nicht etwa 500.- €, sondern 503.- € festgesetzt, eben nach der DTB. Einem Ausländer, der einem solchen Verfahren folgt, wird dies wie Mystik erscheinen.

Im Gesetz steht hierzu – fast - nichts; dort wird zum Kindesunterhalt lediglich festgehalten, dass die Eltern „alle verfügbaren Mittel… gleichmäßig zu verwenden haben.“ Diese Bestimmung lässt noch vieles offen. Auch die weitere Bestimmung, dass „das Maß des geschuldeten Unterhalts … sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen“ richte, macht die Sache noch nicht einfacher. Um in Sachen Kindesunterhalt Berechenbarkeit und Rechtssicherheit zu erzeugen, wurden in der Vergangenheit bereits verschiedene Methoden entwickelt; durchgesetzt hat sich die DTB. Nach ihr ergeben sich die geschilderten exakten Resultate; wer monatlich netto über 3.000.- € verfügt, der schuldet, einem Fünfjährigen 503.- € und einem Zehnjährigen 578.- € monatlichen Unterhalt. Die DTB wird in der richterlichen und anwaltlichen Praxis durchweg beachtet, ja wie ein Gesetz angewandt, und das seit Jahrzehnten. 

Düsseldorfer Tabelle in Schieflage

Die DTB wird so wenig hinterfragt, dass es kaum bemerkt wird, wenn gleich zwei ihrer Grundannahmen nicht mehr stimmen: Nimmt man erstens die aktuellen Zahlen der Tabelle vom 1.1.2023 und geht wie auch die Tabelle selbst von geschuldetem Unterhalt gegenüber zwei Kindern aus, so reichen die in der ersten Einkommensgruppe angesetzten 1.900.- € als monatliches Einkommen des Trennungselternteils nicht aus, um zwei Kindern aus der mittleren Altersgruppe ihren Unterhalt von jeweils 503.- € zu zahlen und zugleich dem Schuldner selbst den ihm zustehenden notwendigen Eigenbedarf in Höhe von 1.370.- € zu gewährleisten.

Bei diesen Zahlen handelt es sich aber gewissermaßen um das Fundament der DTB, und das Fundament „trägt“ nicht. Zu dem gleichen Fehlschlag würde man gelangen, wenn die berechtigten Kinder nur fünf Jahre alt wären und damit der ersten Altersstufe angehörten oder der Vater 2.100.- € verdiente; auch in diesen Fällen reicht das Geld nicht, um den Unterhalt nach der Tabelle zu verteilen. Dem Versprechen, dass nach ihr mit einem Blick zu erkennen sei, was man seinen zwei Kindern schuldet, wird die Tabelle also nicht gerecht.

Zweitens führt die aktuelle Inflation zu verzerrenden Sprüngen zwischen den Gehaltsgruppen der Tabelle. Die Tabelle geht bei einem Sprung des Schuldners in eine höhere Gruppe davon aus, dass er über mehr Mittel für sich und für seine Kinder verfüge und setzt den Unterhalt entsprechend höher fest. Beruht der Sprung in die höhere Gruppe aber allein auf der Inflation und verfügt der Schuldner somit real nicht über mehr Geld, so erhalten die Kinder hier einen real nicht begründeten Zuwachs, der bei den Trennungselternteilen einen entsprechenden relativen Verlust bedeutet. Inflation führt zu überzogenen Unterhaltssteigerungen, die nicht durch einen höheren Bedarf der Kinder begründet sind, sondern allein in der Blindheit der DTB gegenüber dem Phänomen Inflation. Dies kann man an zwei Beispielen illustrieren.

  • Verdient ein Schuldner heute, im Jahr 2023, netto 3.240.- € monatlich statt 3.000.- wie noch im Jahre 2022 (+ 8 %), so führt dies zu einer Steigerung der Unterhaltsschuld gegenüber einem Zehnjährigen von 524.- € auf 603.- €, einer Steigerung zu Gunsten des Kindes von gut 15%. Dem Schuldner verbleiben demgegenüber nur 6,5 % mehr (+ 161.-€) als im Jahr 2022. Die DTB blendet hier vollständig aus, dass die 3.240.- € Nettoverdienst aus dem laufenden und die 3.000.- € aus dem letzten Jahr in ihrer Kaufkraft identisch sind. Die Tabelle stuft den Schuldner allein wegen seines nominal höheren Einkommens in die nächsthöhere Gruppe hoch. Gleichzeitig wird der Bedarf des Kindes um 10 % gesteigert. Diese doppelte Anhebung der Unterhaltsschuld führt zu dem ungerechten Ergebnis.
  • Verdient ein Schuldner im Jahr 2023 netto 2.052.- € nach 1.900.- € netto im Jahre 2022 (erneut +8%), so ist an denselben Zehnjährigen, hier einmal als Einzelkind angenommen, jetzt Unterhalt in Höhe von 553.- € zu entrichten nach 478.- € im Vorjahr. Es ergibt sich so eine Steigerung beim Kind in Höhe von 15%, während der Zuwachs beim Schuldner nur 5,4% beträgt, und dies bei einer Inflation in Höhe von 8%.

Die Beispiele machen deutlich: Die DTB wird der sozialen Wirklichkeit nicht mehr gerecht, die Berechnung des geschuldeten Kindesunterhalts benachteiligt Unterhaltspflichtige. 

Dr. Matthias Heger - der Verfasser - ist Referatsleiter im Bundesministerium der Justiz gewesen. Die vorstehenden Ausführungen geben ausschließlich seine persönlichen Ansichten wieder.

Es drängen sich Fragen auf, die im Folgenden abgehandelt werden:

Wie kam es zur „Praxis DTB“, die in den letzten Jahren kaum mehr in Frage gestellt worden ist?
Wie machen es andere Staaten mit vergleichbaren familienrechtlichen Systemen?
Wie kann man es anders, wie kann man Unterhaltshöhe ökonomisch sachgerecht festlegen und gerecht – „gesetzestreu“ – zwischen Kindern und Trennungseltern teilen?

 

 

Der Rückblick: Wie kam es zu der Düsseldorfer Tabelle und der heutigen Schieflage?

Die DTB befriedigt zunächst den Wunsch nach Vergleichbarkeit und Voraussehbarkeit, damit auch nach Rechtssicherheit. Aus ihr lässt sich, mit den eben geschilderten wichtigen Einschränkungen, ablesen, wieviel Unterhalt ein Trennungselternteil bei einem bestimmten Einkommen seinen Kindern schuldet.

Ginge man allein von der derzeitigen Gesetzeslage nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) aus, so wäre in jedem Einzelfall neu auszumachen, was als angemessener Unterhalt für das Kind im konkreten Fall anzusehen wäre. Dies würde die Unterhaltsverfahren als Massenverfahren in der Praxis zum Erliegen bringen. Diesem Problem der fehlenden Vorhersehbarkeit wurde zunächst mit sog. „Schlüsseln“ wie etwa dem „Zwickauer Schlüssel“ begegnet. Danach standen im Einzelfall vom Nettoeinkommen des als Alleinverdiener angenommenen Unterhaltsschuldners der Ehefrau Ansprüche in Höhe von 3/7, einem Kind in Höhe von 1/7 zu. Bei einer höheren Zahl von Gläubigern war der Schlüssel anzupassen.

Bereits in den 60er Jahren wurde dann beim Landgericht Düsseldorf mit dem Erstellen von Tabellen begonnen, die zu der heutigen komplexen DTB fortentwickelt wurden. Seither lässt sich mit Hilfe der DTB grundsätzlich feststellen, wieviel Unterhalt ein Trennungselternteil ausgehend von seinem Nettoeinkommen schuldet. Dabei wandelte sich aber auch die Natur, der Zweck der in der DTB ausgewiesenen Beträge. Stellten diese zunächst reine Verteilungskriterien dar (sog. Regelbeträge), sind sie seit der Reform von 2008 als Ausweis des im Einzelfall „eigentlich“ geschuldeten Unterhalts zu verstehen; der in der Tabelle genannte Betrag ist grundsätzlich derjenige Betrag, der von den Trennungseltern zu zahlen ist.

Die Reform von 2008 ist allerdings nicht der erste Einschnitt. Bereits im Jahr 2000 wurde im seinerzeitigen § 1612b Abs. 5 BGB eine Regelung eingeführt, die erstmals die Verwendung des inzwischen sehr bedeutsam gewordenen Kindergeldes für das Kind unterhaltsrechtlich festschrieb. Ein Unterhaltsschuldner konnte danach das halbe Kindergeld erst dann für sich und für seine eigene Nutzung beanspruchen, wenn er den zum Regelunterhalt fortentwickelten Regelbetrag tatsächlich zahlte. Zahlte er weniger, weil er weniger leistungsfähig war, so konnte er das Kindergeld nur teilweise für sich verwenden. Einen Mindestunterhalt gab es freilich noch nicht.

Mindestunterhalt als Minimalunterhalt – eine Illusion mit Folgen

Erst die Reform von 2008 verwandelte die Angaben in der DTB zu solchen, die den tatsächlich im Einzelfall geschuldeten Unterhalt darstellen; gleichzeitig wurde ein Mindestunterhalt statuiert, der zu zahlen sei. Bei einem Zehnjährigen beträgt dieser derzeit 502.- €. Da aber viele Schuldner im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und diesen Mindestunterhalt somit nicht zahlen können, stellt dieser Mindestunterhalt keineswegs den Mindestbetrag dar, den ein Schuldner seinem Kind heute in Deutschland zahlt. Stattdessen weist er einen schillernden Charakter auf, wie oben bereits dargestellt wurde.

Die DTB bezeichnet diesen Betrag zwar als Mindestbedarf des Kindes, geht aber selbst in ihrem Basisfall bei einem Nettoeinkommen des Schuldners in Höhe von 1900.- € mit dem Mindestbedarf von 502.- € und dem Selbstbehalt in Höhe von 1.370.- € bereits bei zwei Kindern davon aus, dass der Schuldner den Mindestunterhalt nicht zahlen kann und somit auch nicht zu zahlen braucht. Erst wenn der Schuldner über 2.374.- € netto monatlich verfügt (1.370.- plus 2x 502.- €), würde er den vollen Mindestunterhalt zahlen können, also erst ab der dritten Einkommensgruppe.

Dieser Mindestunterhalt bildet den Kern der heutigen Probleme mit der DTB. Der Begriff suggeriert, dass dies mindestens zu zahlende Betrag sei. Gleichzeitig zeigt die Größe des Niedriglohnsektors in Deutschland, dass viele Menschen nicht über die nach der DTB erforderlichen Einkünfte verfügen; ihnen verbliebe bei Zahlung des Mindestunterhalts allemal weniger als der notwendige Eigenbedarf.
Es ist daher sehr problematisch, wenn, wie seit der Reform von 2008, ein Mindestunterhalt völlig unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Trennungseltern und stattdessen vor sozial- oder steuerrechtlichen Hintergründen definiert wird. Dies verkennt den Grundansatz im Kindesunterhaltsrecht, wie er im § 1603 Abs. 2 BGB durchscheint.

Nach dem BGB sind stets nur die konkreten Einkünfte der Eltern Grundlage für die Berechnung des geschuldeten Kindesunterhalts, nicht irgendwelche Bedarfe der Kinder, die losgelöst von dem individuellen Fall abstrakt nach dem Steuer- oder Sozialrecht als Mindestbedarf festgesetzt werden. Der Unterhalt bemisst sich allein nach den von den Eltern erwirtschafteten Einkünften. Nur diese Einkünfte können verteilt werden; mehr ist nicht vorhanden.

Was schulden Eltern ihren Kindern? Gesetz und Tabelle

Die Eltern schulden ihren Kindern immer nur einen Anteil an dem, was ihnen an Einkünften zur Verfügung steht, wie z.B. ein Siebtel nach dem früheren Zwickauer Schlüssel. Das Gesetz spricht für Mangelfälle davon, dass die vorhandenen Mittel „gleichmäßig“, also proportional, zu „verwenden“ seien.

Genau danach ist zu suchen. Eine Koppelung des von den Trennungseltern geschuldeten Unterhalts an sozial- oder steuerrechtliche Größen wie den Kinderfreibetrag oder an das „sächliche Existenzminimum“ kann hier nicht helfen. Eine solche Koppelung zieht zur Bestimmung des geschuldeten Unterhalts familienexterne Daten heran, auf die der Trennungselternteil keinerlei Einflussmöglichkeiten besitzt. Wenn der Schuldner trotz seiner Bemühungen kein Nettoeinkommen von 2.374.- € erzielt, dann kann er eben seinen zwei Kindern (auf der mittleren Altersstufe) nicht den Mindestunterhalt in Höhe von jeweils 502.- € zahlen. Das Abstützen auf den Mindestunterhalt in der DTB, um den im Einzelfall geschuldeten konkreten Unterhalt zu bestimmen, kann im Ergebnis daher nicht sachgerecht sein.

Wie selbstverständlich gehen die bisher genannten Beispiele weiter davon aus, dass stets nur ein Elternteil Unterhaltsschuldner ist, dass also nur ein Elternteil Barunterhalt schuldet. Dies mag ja zu Zeiten der Schaffung der Düsseldorfer Tabelle in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts noch zutreffend gewesen sein. Inzwischen stimmt diese Annahme aber so nicht mehr. Immer mehr Frauen sind vollzeitig oder zumindest in Teilzeit erwerbstätig. Es gibt also in vielen Fällen nicht mehr nur den einen Unterhaltsschuldner.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hier bereits reagiert und seine Rechtsprechung umgestellt, so dass Ausgangspunkt für die Berechnung des Bedarfs eines Kindes nicht mehr nur das Einkommen eines Elternteils ist, sondern vielmehr vom gemeinsamen Einkommen beider Elternteile auszugehen ist.

Für den Mindestunterhalt bedeutet dies nun, dass er in Fällen, in denen beide oder ein Elternteil im Niedriglohnsektor arbeitet, auf beide Elternteile aufzuteilen ist, wenn der Mindestunterhalt nicht von einem der beiden bezahlt werden kann. Nach welchen Kriterien dies vorgenommen werden soll, ist dabei noch offen. Der Mindestunterhalt ist auch aus diesem Grund nicht länger derjenige Unterhalt, den ein Elternteil mindestens zu zahlen hätte.

 

 

Blick über die Grenzen: Wie lösen andere Staaten dieses Problem?

Das skandinavische Modell

Deutschland ist mit der Frage, wie sich in einem Einzelfall möglichst effizient die Höhe des Kindesunterhalts ermitteln lässt, naturgemäß nicht allein. Allerdings gilt es gerade im Unterhaltsrecht, bei Rechtsvergleichungen besonders vorsichtig zu sein. So lässt sich z.B. über Finnland lesen, dass dort Gerichtsverfahren über Unterhalt eher selten sind und man sich in der Praxis oft außergerichtlich einige.

Das klingt sehr vernünftig und könnte hoffen lassen, dass viele Probleme in Deutschland entfielen, wenn man es denn nur wie Finnland machte. Leider lässt sich die hohe Vergleichsquote in Finnland aber nur vor dem dortigen familienrechtlichen Hintergrund verstehen, wonach finanzielle Rechtsfolgen einer Ehescheidung grundsätzlich über den Zugewinnausgleich geregelt werden. Ähnlich wie im Vereinigten Königreich wird so nach einer Scheidung das Familienhaus dem betreuenden Elternteil und dem Kind zugewiesen und dies unabhängig von der vorherigen Eigentumslage. Wichtig ist weiter zu wissen, dass in diesen Staaten, anders als in Deutschland, der Anteil von Eigentum an Immobilien ungleich höher ist, so dass eine solche Wohnungsübertragung keineswegs nur im Falle begüterter Eltern in Frage kommt. Schließlich ist zu bedenken, dass in den skandinavischen Staaten auch das Sozialsystem viel umfassender ausgebaut ist, so dass in Trennungsfällen eventuelle Mangellagen viel häufiger als in Deutschland durch Sozialleistungen abgefedert werden, freilich zum „Preis“ deutlich höherer Steuerbelastungen.

Andere Ansätze

Einer Übernahme ausländischer Vorbilder kann weiterhin die dort andere Rolle der Rechtsprechung im Wege stehen. So scheint z.B. die spanische Praxis der deutschen nicht unähnlich zu sein, richtet sich die Rechtsprechung bei der Festsetzung des geschuldeten Kindesunterhalts dort doch auch nach Tabellenwerken. Diese werden von dem „Consejo“ (einem Richterrat) festgelegt, einem sehr einflussreichen, fest institutionalisierten Gremium der richterlichen Selbstverwaltung. Ein vergleichbares Gremium mit dieser Gewalt über alle spanischen Gerichte, insbesondere in Personalfragen, existiert in Deutschland allerdings gerade nicht.

Bei einer dritten Gruppe von europäischen Staaten liest man in Nachschlagewerken, dass dort in der Rechtsprechung „variabel“ vorgegangen werde, etwa im Falle Polens.  Dies bedeutet, dass die Gerichte den Kindesunterhalt von Fall zu Fall festlegen. Eine solche Praxis ließe sich ebenso wenig auf die deutschen Verhältnisse übertragen, weil – bei allen geschilderten Mängeln – der DTB der Verdienst zukommt, Verfahren wegen Kindesunterhalts berechenbar und damit rechtssicher zu machen.

Das österreichische und mitteleuropäische Modell

Eine vierte Gruppe von Staaten, der z.B. das Deutschland besonders nahestehende Österreich angehört (daneben Staaten wie Rumänien, Ungarn und Kroatien), geht wieder einen anderen Weg: Dort schulden die Trennungseltern ihren Kindern einen im Gesetz geregelten festen Prozentsatz ihres Nettoeinkommens als Unterhalt. Dieser Anteil wird teilweise nach dem Alter des Kindes gestaffelt und nach oben hin ab ca. 200% des Regelbedarfs gedeckelt. Schließlich wird der geschuldete Unterhalt teilweise automatisch indexiert, d.h. bei Inflation steigt der Unterhalt dann parallel an. Die Höhe des einem Kind geschuldeten Unterhalts schwankt dabei. In Ungarn werden wohl regelmäßig 15% des Nettoeinkommens als Grundlage für den Kindesunterhalt angesetzt; in Österreich wird die Höhe nach dem Alter gestaffelt und beträgt 16-22%.

Was kann übernommen werden?

Dieser kurze Streifzug durch die ausländischen Unterhaltsrechtsregelungen zeigt auf, wie schwierig es auf diesem Gebiet ist, Anleihen bei anderen Rechtssystemen zu nehmen. Zu eng ist das Unterhaltsrecht mit dem jeweiligen Steuer- und Sozialrecht verwoben, zu unterschiedlich ist die Stellung der Gerichte.

Andererseits macht der Vergleich deutlich, dass der komplizierte deutsche Weg, den Kindesunterhalt mit Hilfe einer komplexen Tabelle festsetzen zu wollen, nicht der einzig gangbare ist. Gangbar ist möglicherweise auch der („skandinavische“) Weg, der die Bedeutung des Unterhaltsrechts und seiner Probleme dadurch minimiert, dass die Versorgung der Kinder über Zuweisung des Familienheims an den betreuenden Elternteil bzw. über sozialrechtliche Regelungen gewährleistet wird.

Auch denkbar erscheint der („österreichische“) Weg, der eine unterhaltsrechtliche Lösung sucht, indem den Kindern ein fester Anteil an den elterlichen Einkünften zugemessen wird.

Im Folgenden ist daher zu prüfen, wie in Deutschland die geschilderten Probleme bei der Bearbeitung kindesunterhaltsrechtlicher Fälle zu lösen sind, ob hier ggf. doch Anleihen aus dem Ausland weiterhelfen könnten.

 

 

Ausblick – Ansätze für eine unterhaltsrechtliche Lösung

Die über 60 Jahre alte DTB eignet sich nicht länger, um die Höhe des Kindesunterhalts zu bestimmen. Es sind andere Ansätze zu suchen, die transparenter sind, Niedriglohnbezieher mehr respektieren und eine sachlich begründete Relation zwischen dem Nettoeinkommen der Trennungseltern und dem geschuldeten Kindesunterhalt gewährleisten.

Wie gezeigt ist eine Anknüpfung der Unterhaltsberechnung an familienexternen Rechengrößen nur bedingt zuverlässig. Daher ist diese Methodik sozusagen vom Kopf auf die Füße zu stellen und - in Anlehnung an die Formulierung im § 1603 Abs. 2 BGB - das bei den Eltern vorhandene Einkommen zum Ausgangspunkt für die Höhe des Kindesunterhalts zu nehmen. Hier hilft, dass es bei der Diskussion über die Höhe des Kindesunterhalts Konsens ist, dass Kinder keine eigenständige Lebensstellung besitzen, diese vielmehr von ihren Eltern ableiten.

Dem entspricht es dann, wenn das Einkommen der Eltern für die Höhe der Ansprüche auf Kindesunterhalt ausschlaggebend ist. Kindern steht infolgedessen ein bestimmter prozentualer Anteil am elterlichen Einkommen als Unterhalt zu. So wird der grundlegende Gedanke des Gesetzes umgesetzt, dass Eltern dasjenige, was in der Familie vorhanden ist, zu verteilen haben. Die Höhe des Anspruchs knüpft nicht mehr an externe Rechengrößen wie das Existenzminimum an.

Vielmehr wird „familienintern“ gerechnet. Die verfügbaren Mittel werden proportional verteilt. Die Kernelemente eines derartigen Ansatzes wären:

  • Der maßgebliche prozentuale Anteil am elterlichen Einkommen, der die Höhe des Kindesunterhalts bestimmt, ist nicht für jede Einkommenshöhe gleich hoch festzusetzen. Er entwickelt sich vielmehr degressiv, d.h. der Prozentsatz geht mit steigendem Einkommen der Trennungseltern zurück. Erscheint bei einem Einkommen von 2.000.- € des Schuldners ein Ansatz von bis zu 25% für die Höhe des Anspruchs auf Kindesunterhalt vertretbar, kann ein solch hoher Prozentsatz bei sehr hohen Einkommen wie etwa 10.000.- € monatlich nicht mehr sachgerecht sein. Hier wäre er auf 10% zu begrenzen. Zusätzlich sollte der Unterhalt maximal 200 % des Mindestbedarfs eines minderjährigen Kindes betragen. Weiterhin ist die im heute geltenden § 1612a BGB vorgenommene Eingruppierung der Kinder in drei Altersstufen sachgerecht; sie sollte beibehalten werden.
  • Die Höhe der einzelnen Prozentsätze sollte nicht im Gesetz, sondern in einer gesonderten Verordnung geregelt werden. Sie sollte für ein Netto-Einkommen des Schuldners von 2.000.- € nach den drei Altersstufen 23%, 24% und 25% betragen. Bei 3.000.- € erscheinen 17%, 18% und 19% sachgerecht, bei 4.000.- € dann 14%, 15% und 16%. Ab dieser Stufe könnte bis zu einem Netto-Einkommen von 10.000.- € monatlich der maßgebliche Prozentsatz jeweils um einen Prozentpunkt pro 1.000.- € abgesenkt werden. Die so für ein Netto-Einkommen von 10.000.- € erreichten Werte von 8%, 9% und 10% könnten dann bis zu der absoluten Grenze von 200% des Mindestbedarfs beibehalten werden. Mit derartigen Prozentgruppen würden nicht nur bewährte Vorbilder wie der deutsche Zwickauer Schlüssel oder die österreichischen Regelungen zur Höhe des Kindesunterhalts übernommen. Sie führten auch in sämtlichen Konstellationen, vom Einzelkind bis hin zu mehreren Kindern, zu sachgerechten Resultaten und bezögen vor allem auch mögliche Unterhaltsansprüche früherer Ehegatten mit ein. Der Eigenbedarf des Schuldners bliebe in jedem Falle gewahrt.
  • Der Mindestbedarf minderjähriger Kinder wird weiterhin als Rechengröße benötigt und ist weiterhin durch Verordnung festzulegen. Er spielt zwar nicht mehr die bisherige Rolle als Grundlage für die Berechnung der Unterhaltshöhe; er legt jedoch die Grenze fest, ab der ein Unterhaltsschuldner „seine“ Kindergeldhälfte vollständig vom geschuldeten Unterhalt abziehen und dieses Geld für sich verwenden kann. Zahlt der Schuldner weniger Unterhalt, so muss er insoweit das Kindergeld zur Auffüllung des Unterhalts verwenden.  
  • An den so entstehenden Grenzen einer Gehaltsgruppe zur nächsten sind, wie auch im parallelen Beitrag … dargestellt, ungewollte Schwellenwerteffekte zu vermeiden. Dies bedeutet, dass der Trennungselternteil, der z.B. mit seinem Netto-Einkommen nur sehr knapp unter der Grenze von 3.000.- € monatlich liegt, die Gelegenheit bekommen muss, wie ein Schuldner behandelt zu werden, der knapp über dieser Grenze liegt.    
  • Wie schon nach der DTB ist es angezeigt, die Höhe des Unterhaltsanspruchs von der Zahl der Berechtigten abhängig zu machen. Da nur das Vorhandene verteilt werden kann, ist der jedem Einzelnen zukommende Anteil bei einer größeren Anzahl von Kindern kleiner. Sofern wie hier vorgeschlagen bestimmte Prozentsätze für einzelne Einkommensgruppen festgelegt werden, könnte diese Abstufung vorgenommen werden, indem bei einer größeren Kinderzahl der niedrigere Prozentsatz aus der nächsthöheren Einkommensstufe genutzt wird. Zu regeln werden auch die Fälle sein, in denen beide Eltern Barunterhalt leisten. Die oben genannten und in einer Verordnung zu regelnden Prozentsätze wären dabei im Ausgangspunkt diejenigen, die für den Fall maßgeblich sind, dass einem einzigen Kind Unterhalt zu gewähren ist.
  • Zur Absicherung des Schuldners ist die Regelung aufzunehmen, dass diesem grundsätzlich die Hälfte seines Netto-Einkommens zu verbleiben hat, nachdem er alle Unterhaltsansprüche beglichen hat. Damit wird aus der heutigen DTB der sog. Bedarfskontrollbetrag aufgenommen, der in der Praxis allerdings nur teilweise beachtet wird. Durch die gesetzliche Regelung würde zum einen Rechtssicherheit erlangt; zum anderen erführe die gewerbliche Leistung des Schuldners ihre Anerkennung. Sonderregeln für eine besonders große Zahl von Kindern könnten noch erwogen werden.
  • Schließlich ist noch die Rolle der Kindergeldzuweisung nach § 1612b BGB zu klären. Ein Unterhaltsschuldner würde erst dann „seine“ Kindergeldhälfte von seiner Unterhaltsschuld abziehen können, wenn er den Mindestunterhalt leistet. Zahlt er weniger, so könnte er nur einen entsprechend geringeren Betrag abziehen. Über das, was der Unterhaltsschuldner seinem Kind zu zahlen hat, sagt der Mindestunterhalt in Zukunft freilich nichts aus. Der geschuldete Unterhalt soll sich stattdessen an dem orientieren, was in der Trennungsfamilie an Geld vorhanden ist.
  • Rechtsvergleichend ließe sich der vorstehend entwickelte Weg als Anleihe beim österreichischen Recht verstehen. Wie dort sollen auch bei dem hier vorgeschlagenen Modell allgemeingültige Methoden zur Berechnung eines Anspruchs auf Kindesunterhalt im Gesetz geregelt werden. Zur Bestimmung der Unterhaltshöhe soll jedoch wie in Österreich an das elterliche Einkommen und nicht an externe Rechengrößen angeknüpft werden. Minderjährigen Kindern stehen danach Anteile am elterlichen Einkommen in Höhe normierter Prozentsätze zu.
  • Die DTB mit ihren komplexen Mechanismen wäre entbehrlich.

 

 

Naheliegende Einzelfragen zu unserem Vorschlag:

Handelt es sich bei dem Vorschlag um ein „Unterhaltssparmodell“? - Nein. Das neue Berechnungsmodell ist nur realistischer, indem es daran anknüpft, was in der Familie an Ressourcen vorhanden ist.

Führt der Vorschlag zur stärkeren Inanspruchnahme von Sozialleistungen? – Nein. Es ist die Aufgabe des Sozial- und des Arbeitsrechts, z.B. durch die Bestimmung eines ausreichenden Mindestlohns und anderer Maßnahmen für ein ausreichendes Familieneinkommen zu sorgen. Das Unterhaltsrecht kann nur die vorhandenen Mittel zwischen den Mitgliedern der getrennten Familie gerecht verteilen.

Ist die Düsseldorfer Tabelle nicht einfacher handzuhaben? – Nein. Im Gegensatz zu ihrem Anspruch erlaubt es die DTB wie oben dargestellt nicht, „mit einem Blick“ zu erkennen, wie hoch der Unterhaltsanspruch eines Kindes im Einzelfall ist.

Wo funktioniert ein solches Modell? – Wie gezeigt verfügen Österreich und andere mitteleuropäische Staaten über ein ähnliches Unterhaltsrecht wie dasjenige nach dem hier vorgeschlagenen Modell der prozentualen Anknüpfung. Auch dort wird die Höhe des Unterhaltsanspruchs eines Kindes mittels fester Prozentsätze bezogen auf das elterliche Einkommen geregelt.

Warum kann eine Reform nicht stärker sozialrechtlich ausgerichtet sein, d.h. in den Fällen, in denen der hohe Mindestunterhalt nicht gezahlt werden kann, noch konsequenter der geleistete Unterhalt durch Sozialleistungen aufgestockt werden? – Das BGB geht von einer Verantwortung der Eltern für ihre Kinder aus. Sie haben als primäre Schuldner ihren Kindern Unterhalt zu gewähren und dafür alle vorhandenen Mittel anteilig zu verwenden. Dieser Verantwortung müssen die Eltern, soweit es irgend geht, gerecht werden.  Erst wenn beide Elternteile über keine Mittel verfügen, ohne ihren Eigenbedarf zu gefährden, ist Platz für die Anwendung des Sozialrechts.

Lohnt eine solche Reform? – Ja. Das Unterhaltsrecht wird so vereinfacht, und die richterrechtliche und komplexe DTB wird nach 60 Jahren verzichtbar.

 

 

Mögliche Formulierung eines neuen § 1610b BGB:

§ 1610b BGB – neu - Höhe des Kindesunterhalts

  1. Ein minderjähriges Kind kann von einem Elternteil Unterhalt als Prozentsatz von dessen Nettoeinkommen verlangen. Der Prozentsatz verändert sich entsprechend der Höhe des zur Verfügung stehenden Einkommens des Elternteils und mit der Zahl der gleichrangigen Unterhaltsgläubiger. Der Prozentsatz ist getrennt für drei Altersstufen festzulegen. Der Prozentsatz beträgt im Höchstfall 25% bei niedrigen und 10% bei hohen elterlichen Einkünften. Im Einzelnen werden die Prozentsätze durch eine Verordnung des BMJ geregelt.
  2. Das Kind kann einen Unterhalt von mehr als 200% des Mindestbedarfs nur verlangen, wenn es seine Bedürftigkeit insoweit im Einzelfall nachweist.
  3. Ist zwei oder mehr Kindern Unterhalt zu zahlen, so ist jeweils der Prozentsatz maßgeblich, der zu dem nach dem Einkommen des Unterhaltsschuldners maßgeblichen Prozentsatz der nächstniedere ist.
  4. Dem Schuldner hat nach Erfüllung aller gesetzlichen Unterhaltspflichten die Hälfte seiner Netto-Einkünfte zu verbleiben.“

Zur Erläuterung: Absatz 1 enthält den Grundsatz, wonach der Kindesunterhalt an das Einkommen der Eltern anzuknüpfen ist, und die Regel, den Kindesunterhalt als Prozentsatz der elterlichen Einkünfte zu bestimmen. Absatz 2 enthält die „Sättigungsgrenze“ für den Kindesunterhalt in Höhe von ca. 1.000.- € monatlich, dargestellt als 200% des Mindestunterhalts. Absatz 3 regelt den Fall, dass mehreren Gläubigern, also Kindern oder (Ex-) Ehegatten, Unterhalt zu zahlen ist. Absatz 4 gewährleistet, dass dem Unterhaltsschuldner grundsätzlich nach Begleichung der Unterhaltsschulden gegenüber Kindern oder (Ex-)Ehegatten die Hälfte seiner Einkünfte verbleibt. So wird die Leistung des erwerbstätigen Schuldners anerkannt.

Fallbeispiele zur Illustration der Auswirkungen des Lösungsansatzes

Fall 1:

Die Trennungsfamilie besteht aus den Eltern und zwei Kindern von 8 bzw. 10 Jahren. Die Mutter ist nicht erwerbstätig; der Vater verdient 3.000.- € netto monatlich. Nach der DTB stünde hier den Kindern ein Unterhalt von je 578.- € zu; nach Abzug des Kindergeldes hätte der Vater 906.- € an die Kinder zu überweisen. Nach der Reform wäre hier für beide Kinder eine Quote von je 15 % anzunehmen. Ihnen stünde somit ein Unterhalt in Höhe von je 450.- € zu. Nach Abzug des Kindergeldes betrüge die Schuld 650.- € für beide Kinder zusammen.
Der (nicht berufstätigen) Kindesmutter stünden nach dem Reformmodell zunächst 45% des um den Kindesunterhalt geminderten Verdiensts des Vaters zu, also 45% von 2.350.- € (= 1.057.- €). Da dem Vater jedoch 50% seines Verdienstes (1.500.- €) nach Begleichung aller Unterhaltspflichten zu verbleiben haben und die Kinder vorrangig sind, verbleiben für die Mutter hier 850.- €.

Fall 2:

Die Trennungsfamilie besteht wiederum aus den Eltern und zwei Kindern, dieses Mal von 3 und 5 Jahren. Der Vater verdient 2.400.- netto monatlich, die Mutter 1.200.-€. Nach der DTB stünde hier den Kindern ein Unterhalt von je 481.- € zu; nach Abzug des Kindergeldes hätte der Vater 712.- € an die Kinder zu überweisen. Nach der Reform wäre hier für beide Kinder eine Quote von je 17% anzunehmen. Ihnen stünde somit ein Unterhalt in Höhe von je 408.- € zu. Nach Abzug des Kindergeldes betrüge die Schuld 624.- € für beide Kinder zusammen.

Zur Erläuterung: Die Mutter liegt mit ihrem Verdienst unter der Eigenbedarfsgrenze, schuldet daher keinen Barunterhalt. Weil zwei Kindern Unterhalt geschuldet wird, ist bei der Berechnung nach dem Reform-Modell der Prozentsatz der nächsthöheren Gruppe zu entnehmen (17% statt 23%). Der Unterhalt pro Kind ist hier nicht um 125.- €, also um das volle hälftige Kindergeld abzusenken. Der Vater kann das Kindergeld immer nur in der Höhe abziehen, in der der von ihm geschuldete Unterhalt über dem Mindestunterhalt liegt. Der Mindestunterhalt bestimmt nach diesem Modell keinen konkret geschuldeten Unterhalt. Dieser bestimmt sich nach den Einkünften der Eltern. Der Mindestunterhalt begrenzt aber die Abzugsfähigkeit des Kindergeldes. . So kann der Vater hier nur je 96.- €, bis zum Mindestunterhalt in Höhe von 312.- € abziehen.

Dr. Matthias Heger - der Verfasser - ist Referatsleiter im Bundesministerium der Justiz gewesen. Die vorstehenden Ausführungen geben ausschließlich seine persönlichen Ansichten wieder.


Entwicklung der Düsseldorfer Tabelle: Stetig mehr ins Abseits

Seit der Einführung der Düsseldorfer Tabelle im Jahr 1962 sind nun schon über 61 Jahre vergangen und kann jetzt quasi vorzeitig in Rente gehen. Wir wollen einen Blick auf die Entwicklung in letzten 18 Jahre werfen, diese kritisch hinterfragen und einen Blick auf die Zukunft werfen.

1. Ablesbarkeit des korrekten Unterhalts aus der Düsseldorfer Tabelle

Die Graphen unten zeigen die Restbeträge über dem Selbstbehalt, die einem Unterhaltspflichtigen mit einem relevanten Einkommen von 1900 Euro (also oberer Grenzbetrag der Stufe 1) nach Zahlung von Kindesunterhalt verbleiben, im zeitlichen Verlauf seit 2005. Es sind die drei Altersstufen jeweils mit den Fällen von zwei Kindern in gleicher Altersstufe (gemischte Altersstufen sind der Übersichtlichkeit halber weggelassen) sowie die Fälle mit einem Kind abgebildet. Für zukünftige Jahre wurden die Tabellenbeträge mit dem Inflationsziel der EZB von 2% fortgeschrieben und jeweils auf ganze Euro aufgerundet.

Sobald der zu einem Fall gehörige Graph die Nulllinie unterschreitet, handelt es sich um einen Mangelfall, d.h. der in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesene Betrag braucht – kann - vom Unterhaltspflichtigen nicht mehr bezahlt werden, da hierdurch sein Selbstbehalt unterschritten würde. Dies bedeutet aber auch, dass die Tabelle in diesen Fällen ihren primären Zweck - nämlich die klare Ausweisung des Zahlbetrages - nicht mehr erfüllt!

Wie gut erkennbar ist, führen ab dem Jahr 2023 alle Fälle in Einkommensstufe 1 mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern automatisch zu einem Mangelfall. Die Düsseldorfer Tabelle, welche ausweislich ihrer Erläuterung für genau diesen Fall von zwei Unterhaltsberechtigten konstruiert wurde, kann also ihren Zweck in der Stufe 1 nicht mehr voll erfüllen. Voraussichtlich im Jahr 2030 führt schon ein einziges unterhaltsberechtigtes Kind der Altersstufe 0-5 in der Stufe 1 zu einem Mangelfall. Spätestens dann ist der gesamte Sinn der Stufe 1 massiv in Frage gestellt.

Wichtig ist hervorzuheben, dass das festgestellte Problem - auf Grund der angewandten Art der Fortschreibung der Tabelle - zwangsläufig in allen Stufen irgendwann eintreten muss. Wenn gleichzeitig die Einkommensgrenzen in der ersten Spalte konstant gehalten werden, während die Unterhaltsbeträge und der Selbstbehalt erwartbar steigen, wird die Summe aus Unterhalt und Selbstbehalt im Laufe der Zeit die Einkommensgrenzen der ersten Spalte überschreiten. Dies führt dazu, dass die ausgewiesenen Zahlbeträge gar nicht mehr zu zahlen sind, da Mangelfälle vorliegen. Die Aussagekraft der Tabelle ist dann entsprechend gering.

Folgerung
Das Problem deckt einen grundsätzlichen systematischen Fehler in der Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle auf. Soll die Tabelle ihre grundsätzliche Funktion der Ablesbarkeit von Unterhalt erfüllen, so ist zukünftig sicherzustellen, dass die (obere) Einkommensgrenze der Stufe 1 mindestens so hoch ist wie die Summe aus Selbstbehalt und dem doppelten Kindesunterhalt der Altersgruppe 12-17. Nur dann ist sichergestellt, dass die Tabellenbeträge keine Mangelfälle erzeugen.

Verhältnis von unterhaltsrelevanten Einkommen zum Kindesunterhalt

Die Graphen (2) unten zeigen das Verhältnis des oberen Grenzbetrages der Stufe 1 (1900 Euro) zur Höhe der Unterhaltsbeträge der verschiedenen Altersstufen im zeitlichen Verlauf seit 2005. Für die Zukunft ist, wie in Abschnitt 1, eine jährliche Steigerung um 2% angenommen.

Es fällt auf, dass der Anteil an Kindesunterhalt am Einkommen des Pflichtigen seit Einführung der Düsseldorfer Tabelle signifikant zugenommen hat. Diese Entwicklung ist durch die Systematik der Fortschreibung der Tabelle bedingt. Denn der Grenzbetrag des Einkommens bleibt konstant, während die Unterhaltsbeträge angepasst - und dabei im Regelfall erhöht - werden.

Folgerungen - Fragen
Es wird oft angegeben, dass unterhaltsberechtigte Kinder “angemessen” am Einkommen ihrer Eltern teilhaben sollen. Wenn sich das Verhältnis zwischen Einkommen und Unterhalt seit 2005 deutlich zu Gunsten des Unterhalts verschoben hat, drängt sich die Frage auf, wieso dieser “angemessene Anteil” im Laufe der Zeit so deutlich zugenommen hat – bzw. einseitig heraufgesetzt wurde? Wo liegt die Grenze dieses Anteils?

Es erscheint sinnvoll, den angemessenen Anteil von Kindesunterhalt am Einkommen des Pflichtigen gesetzlich und faktenbasiert festzusetzen. Dann könnten die Grenzbeträge in der 1. Spalte der Düsseldorfer Tabelle ausgehend vom Mindestunterhalt und dessen Verhältnis zum Einkommen des Pflichtigen bestimmt und systematisch fortgeschrieben werden.
Damit würden die Einkommensgrenzen, Kindesunterhalt und Selbstbehalt entsprechend der Inflation fortgeschrieben. Das Verhältnis dieser Kerngrößen der Düsseldorfer Tabelle bliebe gewahrt. Widersprüchlichkeiten und Missverhältnisse innerhalb der Tabelle würden systematisch vermieden.

Die Graphen (3) zeigen die Verhältnisse der Grenzbeträge der einzelnen Stufen gemäß Düsseldorfer Tabelle Stand 01.01.2023 zu den Unterhaltsbeträgen der einzelnen Altersstufen.

Dabei zeigen sich klar die Schwellwerteffekte an den Grenzen der einzelnen Stufen. An diesen können schon eine sehr kleine Einkommensveränderung zu einer deutlichen Veränderung in der individuellen Belastung des Unterhaltspflichtigen durch zu zahlenden Kindesunterhalt führen. Es ist zu beachten, dass der Unterschied zwischen der oberen Grenze einer Stufe und der unteren Grenze der nächsthöheren Stufe nur 1 € beträgt. Dabei kann auch eine Gehaltserhöhung durch höhere Unterhaltspflicht mehr als aufgezehrt werden, so dass am Ende eine finanzielle Einbuße des Pflichtigen steht.

Manch Unterhaltspflichtiger steht vor der perversen Situation: Es kann für einen Pflichtigen sogar lukrativ sein, Einkommenssteigerungen auszuschlagen. Dies ist nicht nur für den Berechtigten nachteilig, sondern auch volkswirtschaftlich gesehen ist ein solcher Negativanreiz kritisch zu hinterfragen. Gerade in Zeiten von Arbeitskräftemangel sind derartige „Anreize“ zu vermeiden.

Die starken Sprünge an den Grenzwerten bergen das Risiko für erhöhtes Konfliktpotential, d.h. in der Praxis, diese Sprünge bieten den „Anreiz“ zu prozessieren. Nachdem das Familienrecht generell Konflikte befrieden und nicht verstärken soll, sind die illustrierten starken Sprünge kritisch zu hinterfragen.

Grundsätzlich muss überlegt werden, ob nicht ganz auf die Tabelle verzichtet wird und der Kindesunterhalt gleich prozentual zum unterhaltsrelevanten Einkommen festgesetzt wird. Insbesondere würden so die dargestellten Schwellwerteffekte beseitigt.

Der Autor möchte anonym bleiben.

Exkurs: Vergleich von tatsächlichem Kindesunterhalt zu einem Prognoseunterhalt mit Einmalzahlung

Ausgangspunkt folgender Fall

Seit dem 01.01.2006 wird durchgehend in Stufe 1 Kindesunterhalt für ein Kind gezahlt. Entsprechend der tatsächlichen Beträge in allen seitdem veröffentlichten Versionen der Düsseldorfer Tabelle wären bis Ende 2023 insgesamt 64.428,00 € zu zahlen. Die Zahlbeträge waren dabei 13-mal zu aktualisieren.

Was wäre im Vergleich dazu geschehen, wenn die insgesamt zu zahlende Summe mit einer Fortschreibung von 2% jährlich (Inflationsziel der EZB) prognostiziert und als Einmalzahlung gezahlt worden wäre? Ausgehend von den Werten der drei Altersstufen im Jahr 2006 hätte sich ein Prognosewert von 64.435,22 € ergeben. Das ist gegenüber dem tatsächlichen Zahlungsbetrag eine Abweichung von 7,22 € zu Gunsten des Berechtigten. Diese Abweichung von 7,22 EURO erstreckt sich auf einen Zeitraum von (18!) Jahren.
Dabei wurde keine Verzinsung des zwischenzeitlich aus der Einmalzahlung verbleibenden Betrages angenommen. Für höhere Stufen ist das Ergebnis systematisch gleich, ja der Berechtigte hat sogar noch einen geringfügig höheren Vorteil.

Zur Diskussion gestellt

Was meinen Sie zur Idee, den Unterhalt mit einer Einmalzahlung abzulösen. Die Vorteile sind klar, man wird nicht ständig mit Kindesunterhalt konfrontiert, der andere Elternteil kann nicht ständig Einblick ins Vermögen verlangen. Er hat aber gleichzeitig die Sicherheit, dass der Unterhalt fließt.

Befürworten Sie Unterhalt mit Einmalzahlung? Welche Vorteile, welche Nachteile sehen Sie? Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass der Gesetzgeber „Kindesunterhalt per Einmalzahlung“ ermöglicht? Sollte es diese Möglichkeit geben? Schreiben Sie uns: meinung(at)isuv(dot)de

Wir wollen eine offene Diskussion anstoßen, hier die Gegenposition

Die Düsseldorfer Tabelle ist weiterhin nutzbar in Unterhaltssachen

Immer mehr Betroffene, so die Kolumne, hoffen darauf, dass die Düsseldorfer Tabelle abdanke; sie ist aber am 1.01.2023 ein weiteres Mal erschienen. Die Kolumne empfiehlt, über Alternativen zur Düsseldorfer Tabelle nachzudenken, da sie systemische Schwächen habe; bei stets steigenden Tabellenbeträgen müsse der Unterhaltsschuldner immer mehr von seinem Einkommen für den Kindesunterhalt  abgeben, ihm verbleibe immer weniger, weil sein Selbstbehalt nicht in dem Maße angehoben werde wie die Tabellenbeträge. Auch die Inflation zeige, dass die seit dem 1.01.2023 geltende Tabelle für den Unterhaltsschuldner nachteilig sei. Die Kolumne schlägt vor, den Unterhalt für das Kind pauschal auf eine Quote  von – z.B. 15 % -  des Einkommens des Schuldners festzulegen. Hat die Düsseldorfer Tabelle systemische Schwächen und ist der Vorschlag eines Quotenunterhaltes gesetzeskonform?

Vorbemerkung

Zum 1.03.1962 hat die 13.Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf als damalige Berufungskammer in Unterhaltssachen ein Zahlenwerk zur Bemessung des Kindesunterhaltes veröffentlicht, - die Geburtsstunde der Düsseldorfer Tabelle (DT). -  Mit der Eherechtsreform zum 1.07. 1977 wechselte die Zuständigkeit für zweitinstanzliche Unterhaltssachen an das Oberlandesgericht. Ab 1979 haben fast alle Oberlandesgerichte die DT übernommen, jedoch nicht deren Anmerkungen als eigenständigen Textteil, ihn haben die Oberlandesgerichte durch eigene unterhaltsrechtliche Leitlinien ersetzt. Ihre jetzige Form hat die DT seit dem 1.01.2008. Das seither geltende  Unterhaltsänderungsgesetzes hat den Mindestunterhalt für Kinder als gesetzliche Größe eingeführt , §§ 1612 a Abs. 1 und Abs. 4 BGB. Seit dem Jahre 2022 sind anlässlich der BGH-Entscheidung vom 16.09.2020 aus den zuvor zehn Einkommensgruppen fünfzehn Einkommensgruppen geworden

Inhalt und Rechtsnatur der Düsseldorfer Tabelle

Die Düsseldorfer Tabelle ist eine Bedarfstabelle, nach dem gesetzlichen Konzept schuldet der unterhaltspflichtige Elternteil dem Kind einen bedarfsdeckenden Barunterhalt, § 1610 BGB. Das Maß des Unterhaltes beschreibt jedoch das Gesetz nicht. Zur Festlegung des angemessenen Unterhalts dient das Zahlenwerk der DT. Danach decken die Tabellenbeträge als Pauschalsätze den vollen Unterhaltsbedarf des Kindes einschließlich des Wohnbedarfs ab. Die DT ist darauf zugeschnitten, dass der Schuldner zwei Unterhaltsberechtigten Unterhalt  zu gewähren hat.
Rechtlich gesehen ist die DT ein Hilfsmittel zur Auffüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes „angemessener Unterhalt“ i. S. d. § 1610 Abs. 1 BGB. Sie besitzt keine Gesetzeskraft, Anm. A  Ziff. 1 DT. Für den Tatrichter ist sie damit nicht verbindlich, den Bedarf des Kindes gem. § 1610 BGB zu ermitteln.

Als Richtlinie zur Bemessung des angemessenen Bedarfs wird die DT jedoch einheitlich in der familiengerichtlichen Praxis angewendet, was vom BGH in ständiger Rechtsprechung gebilligt wird.

Struktur der Düsseldorfer Tabelle

Die Düsseldorfer Tabelle ist in fünf Abschnitte eingeteilt: Abschnitt A enthält mit dem Zahlenwerk und den Leitlinien Aussagen zum Kindesunterhalt. Die übrigen Abschnitte B bis E beschäftigen sich mit dem Ehegattenunterhalt, den Mangelfällen, dem Verwandtenunterhalt und dem Unterhalt gem. § 1615l BGB sowie der Übergangsregelung. Trotz der seit dem Ukraine-Krieg gestiegenen Lebenshaltungskosten, der Inflation und der hohen Wohnkosten blieb die seit dem 01.01.2023 geltende DT strukturell unangetastet.

Praxistauglichkeit der Düsseldorfer Tabelle

Erscheint eine neue Düsseldorfer Tabelle beklagen die Kinder als Unterhaltsgläubiger, dass die Tabellensätze ihren Bedarf nicht ausreichend abdecken. Erhöhen sich die Tabellensätze, beanstandet der Unterhaltsschuldner, dass er von seinem bereinigten Einkommen immer mehr Anteile für den Kindesunterhalt bis zur Selbstbehaltsgrenze abgeben müsse. In der Kolumne wird grundsätzlich kritisiert, die DT zeige „systemische Schwächen“.

Verteuern sich die Lebenshaltungskosten, brauchen zur Deckung ihrer jeweiligen Grundbedarfe beide Beteiligte des Unterhaltsrechtsverhältnisses mehr Geld, bzw. müssen sich einschränken. Erhält der Schuldner wegen der Inflation ein höheres Einkommen, wird zwar seine Kaufkraft stabilisiert. Gelangt er aber in eine höhere Einkommensstufe der DT, steigt die Unterhaltslast für das Kind. Der Kaufkraftausgleich wird damit durch höhere Unterhaltszahlungen teilweise oder insgesamt wieder aufgezehrt. Zahlt der Schuldner eine hochpreisige Miete, sieht er sich der Verarmung ausgesetzt, wenn ihm von seinem Einkommen nach Abzug des Unterhaltes lediglich noch sein pauschal bemessener Selbstbehalt verbleibt und dieser Selbstbehalt nicht ausreicht, die angestiegenen Kosten für seinen allgemeinen Lebensbedarf zu bezahlen.

These: Zur Lösung dieses Spannungsfeldes zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners bietet die DT weiterhin eine nachhaltige Grundlage; entgegen der Auffassung der Kolumne muss sie nicht abgeschafft werden.

Die Situation aus der Sicht des Kindes:

Auf den Anstieg der Lebenshaltungskosten hat der Gesetzgeber zugunsten der Kinder mit der 5. Mindestunterhaltsverordnung reagiert und zum 1.01.2023  deren Mindestbedarf  im Vergleich zum Jahr 2022 um ca. 10 Prozent erhöht. Für das Jahr 2023 beziffert sich der Mindestbedarf entsprechend der zweiten Altersstufe der Mindestunterhaltsverordnung auf mtl. EUR 502,00. Weiterhin wurde durch das Inflationsausgleichsgesetz für jedes Kind das staatliche Kindergeld auf mtl. EUR 250,00 zum 1.01.2023 angehoben. 

Der Mindestunterhalt findet Eingang in die erste Einkommensgruppe der DT bis zu einem unterhaltsrelevanten Einkommen des Schuldners von EUR 1.900,00.  Unterhaltsrechtlich wird mit dem Mindestunterhalt das bedarfsnotwenige Existenzminimum des Kindes nach sozialrechtlichen Kriterien festgelegt, auf diesen Mindestunterhalt stützen sich die Bedarfssätze der übrigen Gruppen.

Die Anknüpfung an ein kindliches Existenzminimum verleiht dem Mindestunterhalt eine nachvollzieh- und überprüfbare Struktur, anhand der sich die  in der DT niedergelegten Zahlen entschlüsseln lassen.

Das Maß des zu gewährenden Unterhaltes bestimmt sich nach der Lebensstellung des bedürftigen Kindes – angemessener Unterhalt - § 1610 Abs. 1 BGB. Zur  Bemessung dieses Bedarfs dient die DT; die in ihr ausgewiesenen, sonstigen  Richtsätze sind Erfahrungswerte, die den Lebensbedarf des Kindes – ausgerichtet an den Lebensverhältnissen der Eltern und an seinem Alter – auf der Grundlage durchschnittlicher Lebenshaltungskosten typisieren, um so eine gleichmäßige Behandlung gleicher Lebenssachverhalte zu erreichen, siehe BGH FamRZ 2000, 358.  
Ein linearer Anstieg der Bedarfssätze entsprechend den Steigerungen des Einkommens des Schuldners ist nicht angemessen. Nach BGH-Rechtsprechung deckt der den Mindestunterhalt übersteigende Bedarf in den höheren Einkommensgruppen keinen Aufwand ab, sondern nur eine der Lebensstellung des Kindes entsprechende Deckung dieses Bedarfs auf einem höheren Niveau. Die Bedarfssätze haben sich der Tradition der Tabelle entsprechend für das im Haushalt eines Elternteils lebende Kind entwickelt. Hiervon abweichende Lebensverhältnisse – Wechselmodell – spiegeln sich in der Tabelle nicht wider.

Das Kind hat das Recht, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil den Mindestunterhalt – 1. Einkommensgruppe der DT – aufbringt. In den unteren Einkommensgruppen, insbesondere bei mehreren unterhaltsberechtigten Kindern werden die Mangelfälle zunehmen.

These: Die Ursache hierfür liegt jedoch nicht im System der DT, vielmehr bietet der Arbeitsmarkt vielen Unterhaltsschuldnern nicht die Möglichkeit , ausreichende Einkünfte zu generieren, um Mangelfälle auszuschließen.

Die Situation aus der Sicht des Unterhaltsschuldners:

Zahlt der Schuldner Unterhalt, muss er von seinem bereinigten Einkommen die Geldmittel für den Kindesunterhalt bis zur Selbstbehaltsgrenze abgeben. Dieser Selbstbehalt besteht aus einer pauschalen Summe. Für den Unterhaltsschuldner sind die seit 2020 geltenden Selbstbehaltssätze nach drei Jahren infolge der seit dem 01.01.2023 geltenden DT wieder angehoben worden.

Mit seiner Selbstbehaltspauschale muss der Schuldner seine allgemeinen Lebenskosten bezahlen. Nimmt die Kaufkraft des Geldes ab, ist der gedeckelte Selbstbehalt für den Schuldner beklemmend, weil er mit seinem verfügbaren Geld weniger und billiger einkaufen muss.

Ist der Schuldner gegenüber Minderjährigen oder den ihnen gleichgestellten sog. privilegiert volljährigen Kindern unterhaltspflichtig, belassen ihm die unterhaltsrechtlichen Leitlinien für seinen Eigenbedarf den notwendigen Selbstbehalt, der sich seit dem 01.01.2015  aus dem sozialrechtlichen Regelbedarf herleitet. (zum sozialrechtlichen Regelbedarf ISUV-Report Nr. 169/170).
Seit dem 01.01.2023 beträgt der notwendige Selbstbehalt für erwerbstätige Unterhaltspflichtige mtl. EUR 1.370,00, für nichterwerbstätige mtl. EUR 1.120,00.

These: Der notwendige Selbstbehalt liegt rechnerisch über dem sozialrechtlichen Existenzminimum. Er trägt damit dem unterhaltsrechtlichen Grundsatz Rechnung, dass der Unterhaltspflichtige durch die Zahlung von Kindesunterhalt nicht selbst sozialhilfebedürftig werden darf. Der Selbstbehalt muss daher das sozialrechtliche Existenzminimum maßvoll übersteigen: Arbeit muss sich lohnen.

Funktion/Anwendung der Düsseldorfer Tabelle im Spannungsfeld zwischen Kind und Schuldner

Die Düsseldorfer Tabelle wurde in letzter Zeit auch von den Machern der Tabelle mehrfach kritisiert. Als ungerecht empfindet der Schuldner die Tatsache, dass sich der Bedarf des Kindes jährlich in Anlehnung an den steigenden Mindestunterhalt erhöht, während sein pauschaler Selbstbehalt nicht in gleichem Maße angehoben wird.

Gerade bei Einkünften des Schuldners im Bereich der unteren Einkommensgruppen der DT macht sich diese Schere bemerkbar, weil er von seinem Einkommen durch den höheren Bedarf des Kindes mehr Unterhalt abgeben muss; verbleibt ihm nach Abzug des Unterhaltes häufig ein immer geringerer Anteil von seinem Einkommen , das den Selbstbehalt übersteigt, d.h. sein Lebensstandard wird immer mehr auf Sozialhilfeniveau zurückgedrängt.

These: Diese Situation ergibt sich jedoch aus dem Gesetz , § 1603 BGB; danach hat der Schuldner seine Leistungsfähigkeit beim minderjährigen Kind, beim privilegierten volljährigen Kind bis auf den notwendigen Selbstbehalt auszuschöpfen, § 1603 Abs. 2 BGB. Somit lässt sich der DT keine systemische Schwäche vorwerfen, wenn dem Schuldner bei beengten finanziellen Verhältnissen trotz gestiegener Kosten nur sein Selbstbehalt bleibt.

Wird die Selbstbehaltspauschale im Einzelfall den tatsächlichen Lebensverhältnisses nicht gerecht, kann der Schuldner klagen. Für den Familienrichter sind die Selbstbehaltssätze nicht verbindlich. Für die Erhöhung des Selbstbehalts muss konkret vorgetragen werden. Wegen fehlenden Sachvortrages erlangt die DT eine starre Anwendbarkeit und den Anschein von gesetzlichem Charakter.

Die Wohnkosten im Selbstbehalt sind eine eigene Bedarfsposition, die sich nicht sachgerecht pauschalieren lässt, weil sie sich tatsächlich im Bundesgebiet regional stark unterscheiden. Im notwendigen Selbstbehalt ist die pauschale Warmmiete seit  01.01.2023 EUR 520,00. Ist die Miete höher als der pauschale Anteil im Selbstbehalt, muss sich der Schuldner klagen. Der BGH hat den Selbstbehalt nach oben geöffnet, wenn die Wohnkosten angemessen und unumgänglich sind. Dies muss im Verfahren belegt werden. Wird der Selbstbehalt erhöht, bleibt weniger für das Kind. Es muss dann auf soziale Leistungen zurückgegriffen werden.

These: Das Spannungsfeld im Unterhaltsrechtsverhältnis zwischen Schuldner und Kind ist Ausdruck der wirtschaftlichen Situation. Für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und die staatlichen Rahmenbedingungen ist die DT nicht verantwortlich.

Die Düsseldorfer Tabelle beschränkt sich darauf, die festgestellten Einkünfte des barunterhaltspflichtigen Elternteils  und den bestimmten Bedarf des unterhaltsberechtigten Kindes in praktisch handhabbare Empfehlungen für die Unterhaltspraxis zu „übersetzen“, natürlich immer unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände.

Die Kolumne will die Grundlage der Unterhaltsberechnung verändern. Ansatzpunkt ist das verfügbare Einkommen der Trennungsfamilie, in welchem auch ein Anteil für den  Bedarf des Kindes mitenthalten ist. Zur Abschaffung der DT schlägt die Kolumne vor, aus einem konkreten Bruchteil des Nettoeinkommens des unterhaltspflichtigen Elternteils den Unterhalt des Kindes  zu ermitteln.

These: Diesen Weg  der bedarfsunabhängigen Bemessung des Unterhaltes lässt jedoch das Gesetz nicht zu. Angemessen ist als Unterhalt der bedarfsdeckende Bedarf und nicht ein pauschaler bruchteilmäßiger Anteil am Einkommen des Schuldners.

Nach der Auffassung des Verfassers belegen die Ausführungen, dass  die DT ihren Platz für einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen Schuldner und Kind zur Bemessung des Unterhaltes zu behaupten vermag.

Schlussbetrachtung

These: Auch wenn die Düsseldorfer Tabelle kritisiert wird, bleibt sie ein praktisches Hilfsmittel zur Bewältigung des Unterhalts. Die pauschalen Bedarfssätze sowie die pauschalen Selbstbehaltsbeträge sorgen durch ihre bundesweite Geltung für ein Maß an Transparenz und Vorhersehbarkeit bei der Entscheidungsfindung.

These: Die Düsseldorfer Tabelle wird ihre Akzeptanz behalten, wenn sie nicht als Gesetz angewendet wird, sondern als Hilfsmittel zur Bemessung des angemessenen Unterhalts. Die Tabelle lässt Raum für einzelfallbezogene Lösungen auf Seiten des Pflichtigen und des Berechtigten.

These: Die Düsseldorfer Tabelle ist weiterhin ein brauchbares Instrument in Unterhaltssachen, da sie seit über 60 Jahren in Gebrauch ist und in der familienrechtlichen Praxis eine hohe Reputation genießt.

These: Nach Auffassung des Verfassers besteht derzeit keine Veranlassung , die Düsseldorfer Tabelle abzuschaffen; sie erleichtert als Orientierungshilfe in jeden Fall die Arbeitsweise im  familienrechtlichen Mandat.

These: Sollte die Kindergrundsicherung im Jahre 2025 eingeführt werden, wird die Struktur der Düsseldorfer Tabelle zu überdenken sein; ob sie dann abgeschafft wird, bleibt abzuwarten.

Zur Diskussion gestellt:

Wir wollen eine fundierte Diskussion aus der Perspektive von Betroffenen anstoßen und in Gang halten.
Die zentrale Frage heißt: Soll die Düsseldorfer Tabelle ersetzt oder beibehalten werden? Bitte schreiben Sie nicht aus reinem „Bauchgefühl“, sondern lesen die Artikel gründlich.
Schreiben Sie uns bitte zahlreich: meinung(at)isuv(dot)de
Wir werden Ihre Argumente und Vorschläge in jedem Fall in unserer Lobbyarbeit berücksichtigen und miteinbeziehen.

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