Unangemessen lange Sorge- und Umgangsrechtsverfahren – Bringt die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde Abhilfe?
Der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV) begrüßt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde fordert (Kuppinger : Deutschland – Nr. 62198/11 vom 16.1.2015). Hintergrund der Entscheidung ist, dass streitige Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen in Deutschland vielfach zu lange dauern. Die Untätigkeitsbeschwerde soll verhindern, dass sich Verfahren unangemessen in die Länge ziehen, weil beispielsweise immer wieder Termine abgesagt oder ein Gutachten nicht rechtzeitig angefertigt wird oder von Seiten des Gerichts das Verfahren nicht vorangetrieben wird. Der In der Vertretung von Kindschaftssachen erfahrene Bielefelder Rechtsanwalt Georg Rixe, der auch diese Entscheidung vor dem EGMR erreicht hat, erwartet von der Untätigkeitsbeschwerde einen „effektiveren Rechtsschutz, der verfassungsrechtlich garantiert ist. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert, die Entscheidung zügig umzusetzen.“ ISUV fordert, dass die Verpflichtung aus dem Urteil – Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde - schnell umgesetzt wird.
Rixe verspricht sich von der Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde, „dass überlange Gerichtsverfahren verhindert und bereits überlange Verfahren beschleunigt werden, um einen zügigen Abschluss herbeizuführen.“
Der Bielefelder Anwalt kritisiert an der bisherigen gesetzlichen Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer, „dass diese keinen beschleunigenden Effekt hat, sondern dem Grundsatz „dulde und liquidiere“ folgt. Mit einer bloßen Entschädigung kann auch eine durch ein überlanges Verfahren herbeigeführte Zerstörung einer Eltern-Kind-Beziehung nicht wiedergutgemacht werden.“
Was den Geltungsbereich der Untätigkeitsbeschwerde anbelangt, stellt Rixe fest: „Die Untätigkeitsbeschwerde ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht nur für Umgangsverfahren einzuführen, sondern auch für alle sonstigen Verfahren, in denen sich eine überlange Verfahrensdauer nachteilig auf das Privat- und Familienleben des Betroffenen (Art. 8 EMRK) auswirken kann.
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In der Richterschaft stieß die Untätigkeitsbeschwerde in der Vergangenheit auf Bedenken. Man verweist auf eine Einschränkung der „richterlichen Unabhängigkeit“, wenn enge Fristen eingehalten werden müssen. Man könne damit nicht auf intensiv genug auf den individuellen Einzelfall eingehen. Aber der ISUV Vorsitzende Josef Linsler gibt zu bedenken: „Richter sind auch Dienstleister in Sachen Kindeswohl und gemeinsame Elternschaft nach Trennung und Scheidung. Damit der Kontakt zum Kind nicht reißt, damit durch Umgangsverweigerung gerade bei kleinen Kindern nicht Fakten geschaffen werden können, ist die Untätigkeitsbeschwerde ein effizientes Mittel.“
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Experten heben immer wieder hervor, dass juristische Mittel, wie Ordnungsgeld, Beschleunigungsgebot, Entschädigung relativ stumpfe Schwerter sind, mit denen der Gordische Knoten der Umgangsverweigerung nicht durchschlagen werden kann. „Das mag wohl in manchen Fällen so sein, grundsätzlich darf man nicht einfach vor Umgangsverweigerung resignieren. In 90 Prozent der Fälle höhlt steter Tropfen den Stein. Betroffene müssen hartnäckig sein und einem langen Atem haben. Es gibt hier schon eine vertrackte Dialektik: Wer keinen Unterhalt bezahlt kann in den Knast wandern, wer Umgang verweigert, bekommt weiterhin Geld. Umgangsverweigerung lohnt sich also. Das mag verstehen, wer will.“, kritisiert Linsler.
Der ISUV-Vorsitzende meint, dass „nach Einführung der Untätigkeitsbeschwerde nicht alle Probleme in Sachen Umgangsverweigerung und unverantwortlich lange Verfahren gelöst sind.“ Er hebt aber hervor: „In jedem Fall werden diese familienrechtlichen Verfahren beschleunigt, das ist im Vergleich zum Status quo ein Vorteil.“
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