Rechtsanwalt Reinhart Enßlin: Ausländisches Familienrecht - Scheidung nach türkischem Recht

Gemischt-nationale Ehen oder Ehen zwischen zwei Ausländern gleicher Nationalität werfen folgende rechtliche Grundsatzfragen auf:

Welche Gerichte welchen Landes sind für Entscheidungen über diese Ehe zuständig?

- Welches Verfahrensrecht ist anwendbar?

- Welches Recht wird dabei anwendbar sein?

- Was macht man mit einer Auslandsentscheidung im Inland?

- Was macht man mit einer Inlandsentscheidung im Ausland?

- Wie lässt sie sich vollstrecken?

Die vorliegende Beitrag befasst sich mit der zweiten Frage: Wenn ein Gericht in Deutschland ausländisches Recht anzuwenden hat – welche besonderen Aspekte dieses fremden Rechtssystems gilt es dabei zu beachten? 

Beispiel Türkei

Die Türkei hat ihr Zivilrecht nach dem 1. Weltkrieg durch Übernahme des Schweizerischen ZGB als einziges muslimisches Land gänzlich von der religiösen Grundlage abgekoppelt. Das türkische Familienrecht im Türkischen ZGB (im folgenden: ZGB) ist zum 01.01.2002 nochmals reformiert worden. Ziel war insbesondere die weitere Gleichstellung von Mann und Frau.

1. Scheidung und Trennung

Scheidungsvoraussetzung ist das Bestehen einer wirksamen Ehe. Dies kann nur eine Zivilehe sein. Die Eheschließung durch einen Imam hat keine rechtliche Wirkung. Einer Scheidung kann, aber muss nicht, eine Trennungsklage vorausgehen, Art. 167 ZGB.

Verschuldensabhängige Scheidungsgründe sind (Art. 161-164 ZGB): Ehebruch~ Nachstellung nach dem Leben, Misshandlung und Kränkung~ Straftat und unehrenhafter Lebenswandel~ Verlassen des Ehegatten.

Verschuldensunabhängige Scheidung ist möglich bei: Geisteskrankheit eines Ehegatten, die das Zusammenleben unerträglich gemacht hat (§ 165 ZGB); bei Zerrüttung der Ehe. Die Vielzahl der Möglichkeiten bei Zerrüttung macht das türkische Scheidungsrecht kompliziert. Möglich sind:

- Scheidung wegen Zerrüttung ohne Trennungsjahr, Art. 166 Abs. 1 und 2 ZGB~ beantragt allerdings der „Verschuldende“ die Scheidung, kann der andere der Scheidung widersprechen – die Scheidungsklage wird abgewiesen. Nur in Ausnahmefällen ist der Widerspruch rechtsmissbräuchlich und damit irrelevant (OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 477).

- Scheidung wegen Zerrüttung nach einem Trennungsjahr, Art. 166 Abs. 3 ZGB. Die Zerrüttung wird vermutet, wenn beide Ehegatten nach dem Trennungsjahr die Scheidung beantragen oder wenn ein Ehegatte dem Antrag des anderen zustimmt.

- Scheidung wegen Zerrüttung nach drei Trennungsjahren, Art. 166 Abs. 4 ZGB. Die Zerrüttung wird nach drei Trennungsjahren zwingend angenommen.

Im Ergebnis kann es somit im Extremfall dazu kommen, dass eine Ehe, wenn der andere Partner sich der Scheidung widersetzt, erst nach drei Jahren Trennung geschieden werden kann.

2. Scheidungsfolgen

Das gegenseitige Erbrecht der Ehegatten erlischt, Art. 181 ZGB. Art. 173 ZGB: Den mit Eheschließung angenommenen Namen des Mannes verliert die Frau automatisch mit Scheidung wieder. Nur unter engen Voraussetzungen kann sie den Namen behalten.

3. Unterhalt

Im Falle, dass der Kindesunterhalt nach türkischem Recht zu beanspruchen ist: Der Kindesunterhaltsanspruch geht bis zum 18. Lebensjahr. Ist das Kind dann weiterhin in Ausbildung, kann der Unterhaltsanspruch (nach bisheriger türkischer Rechtsprechung) bis zur Altersgrenze von 25 darüber hinausgehen. Im Falle der Scheidung und der damit verbundenen Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil kann dieser den Unterhaltsanspruch gegen den anderen geltend machen.

Zur Ermittlung des Unterhaltsanspruches gelten die gleichen Grundsätze wie im deutschen Recht zu Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit. Lebt das Kind in der Türkei, sind aber die dortigen Verhältnisse unterhaltsmindernd zu berücksichtigen. Deutsche Gerichte wenden indes dennoch die Düsseldorfer Tabelle an und machen hiervon einen Abschlag. Danach ist der sich ergebende EUR-Betrag noch an die Kaufkraft in der Türkei anhand der Tabellen zur Verbrauchergeldparität anzugleichen (OLG Zweibrücken FamRZ 1999,33).

Trennungsunterhalt für Ehegatten: Ein Anspruch besteht bei berechtigtem Getrenntleben. Streitig im türkischen Recht war dabei bisher, ob diese Berechtigung, getrennt leben zu können, richterlich festgestellt werden musste. Nach neuerer Ansicht ist dies nicht erforderlich. Richtlinien über die Höhe des Trennungsunterhalts gibt es nicht. Die Gerichte behelfen sich also anders. Beispiel OLG Düsseldorf (FamRZ 1995, 37): Eine in der Türkei lebende Ehefrau hat einen Bedarf in der Höhe des hälftigen Existenzminimums nach Düsseldorfer Tabelle (alt).  Außerdem OLG Hamm (FamRZ 1989, 1084): Verminderung entsprechend den Vergleichswerten der Verbrauchergeldparität, d.h. anhand der Frage: Wie viel erhält man im Ausland für 1 EUR?

Einen nachehelichen Ehegattenunterhaltsanspruch gibt das türkische Recht nicht als Regelanspruch. Das führt dazu, dass es für einen potentiell Unterhaltspflichtigen in Streitfällen besser sein kann, die Scheidung nach türkischem Recht, für einen Unterhaltsbedürftigen, die Scheidung nach deutschem Recht abzuwickeln. Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn aufgrund der Regelungen im deutschen und türkischen Internationalen Privatrecht überhaupt Uneinigkeit hinsichtlich des anwendbaren Rechts besteht. Dies ist dann der Fall, wenn bei gemischt-nationalen Ehen ein Ehegatte in sein Heimatland zurückkehrt. Nach deutschem IPR ist dann deutsches Recht als letzter gemeinsamen Aufenthaltsort anzuwenden (Art. 17, 14 Abs. 1 Nr. 2 zweite Alt.), nach türkischem IPR türkisches Recht (Art. 13 Türk IPRG).

Der nacheheliche Unterhalt ist „Bedürftigkeitsunterhalt“ für den „weniger schuldigen“ nach Art. 175 ZGB. Unterhalt gibt es also nur dann, wenn der Bedürftige weniger Schuld an der Scheidung hat und durch diese bedürftig geworden ist, was eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte.

Die Festsetzung der Höhe des Unterhaltsanspruches folgt keinen festen Regeln sondern berücksichtigt die Kriterien Dauer der Ehe, Alter, Gesundheit, soziale Stellung, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Vermögen u.a. beim Berechtigten und die Leistungsfähigkeit (wie viel kann er überhaupt zahlen) beim Unterhaltszahler.

Neben dem Unterhalt gibt es die Möglichkeit, dass der Ehegatte, der durch die Scheidung beeinträchtigt worden und weniger oder nicht schuld an ihr ist, materiellen und immateriellen Schadensersatz (Art. 174 ZGB) fordern kann. Kriegt er den, ist er möglicherweise nicht mehr bedürftig im Sinne des Bedürftigkeitsunterhalts.

Abänderung bei veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen ist möglich. Der Unterhalt endet bei Wiederheirat. Achtung, alle Ansprüche aus der Scheidungssituation verjähren innerhalb nur eines Jahres nach Rechtskraft des Scheidungsurteils (Art. 178 ZGB)!

4. Güterrecht

Der Regelgüterstand bei Heirat ist seit 2002 die Errungenschaftsbeteiligung (Art. 202, 218-241 ZGB). Dabei gibt es vier Vermögensmassen: Das jeweilige Eigengut der Ehepartner (persönlicher Besitz, Vermögen, das bereits bei der Eheschließung vorhanden war, Schenkungen, Erbschaften) und die jeweilige Errungenschaft (Vermögen, das während der Ehe angesammelt wurde). Der Güterstand endet mit Zustellung der Scheidungsklage. Ausgeglichen wird dann nur das jeweilig „Errungene“, d.h. die Errungenschaften werden nach Abzug der Schulden hälftig geteilt (jedem Ehegatten steht die Hälfte der Errungenschaft des anderen Ehegatten zu) und die Beträge saldiert. Wer einen höheren Anspruch hat, erhält die Differenz vom anderen.

Daneben können bei Trennung und Scheidung auch andere Güterstände vorliegen, die die Ehegatten per notariell beurkundetem Vertrag vereinbaren können: Dies sind insbesondere Gütertrennung und Gütergemeinschaft.

5. Ehewohnung und Hausrat

Regelungen zu Ehewohnung und Hausrat nach Scheidung gibt es nicht. Vor der Scheidung können gerichtliche Maßnahmen zur Zuweisung der Ehewohnung per einstweiliger Maßnahmen angeordnet werden (Art. 169 TürkZGB).

6. Sorge und Umgang

Die Eltern haben gemeinsames Sorgerecht. Nach der Scheidung erhält einer der Ehegatten das Sorgerecht allein zugesprochen.  

7. Versorgungsausgleich

In der Türkei gibt es keinen Versorgungsausgleich. Dies führt dazu, dass in der Regel bei Beteiligung eines Türken/einer Türkin an einer Scheidung ein Versorgungsausgleich nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag durchgeführt wird (Art. 17 Abs. 3 EGBGB).

Dr. Reinhart Enßlin

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht