Elternunterhalt - BGH - 12.02.2014 und 05.02.2014

1.

a) Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden. 

b) Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt regelmäßig eine Verfehlung dar. Sie führt indes nur ausnahmsweise bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts.

c) Keine Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 3 BGB bei einseitigem Kontaktabbruch des Unterhaltsberechtigten gegenüber seinem volljährigen Sohn, wenn der Vater sich in den ersten 18 Jahren um diesen gekümmert hat, seiner Unterhaltsverpflichtung weitestgehend nachgekommen ist und erst danach der einseitige Kontaktabbruch durch den unterhaltsberechtigten Vater erfolgte.

2.

a) Die Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt ist auch dann auf der Grundlage eines individuellen Familienbedarfs zu ermitteln, wenn der Unterhaltspflichtige über geringere Einkünfte als sein Ehegatte verfügt.

b) Der Wohnvorteil eines Unterhaltspflichtigen ist auch bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt dem Einkommen hinzuzurechnen und nicht lediglich im Rahmen der vom Selbstbehalt umfassten Wohnkosten zu berücksichtigen.

Urteil:
Gericht: BGH
Datum: 12.02.2014 | 05.02.2014
Aktenzeichen: XII ZB 607/12 | XII ZB 25/13
Leitparagraph: § 1603 BGB
Quelle: NZFam 2014, Seite 259; FamRZ 2014, Seite 541

Inhalt:

Der Beschluss des BGH vom 12.02.2014, Az. XII ZB 607/12 (Ziffer 1) hat in den Medien hohe Wellen geschlagen. Die Aufmacher lauteten: „Auch enterbte Kinder müssen für Eltern zahlen“ oder „Kinder haben nichts zu lachen“. Auch der Verband ISUV/VDU kritisiert: „Der Vater enterbt den Sohn und der Sohn „erbt“ die Unterhaltsschulden/-verpflichtung“. Grund genug, sich die Entscheidung des BGH etwas genauer anzuschauen. In sehr engem zeitlichen Zusammenhang hat der BGH auch zur Thematik der sogenannten „Schwiegerkindhaftung“ in seinem Beschluss vom 05.02.2014, Az. XII ZB 25/13 (Ziffer 2) Stellung bezogen. Nach Auffassung des Verfassers hat die zuletzt genannte Entscheidung für die Praxis sogar eine weitaus höhere Bedeutung, da die in Anspruch genommenen Kinder zu einem Großteil verheiratet sind und sich immer wieder die Frage stellt, inwieweit der Ehegatte, der zum unterhaltsberechtigten Elternteil keinerlei Verwandtschaftsverhältnis hat (Schwiegerkind), wenn auch nur indirekt, zu Unterhaltszahlungen herangezogen werden kann.

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Zu Ziffer 1)

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Mit dem Beschluss vom 12.02.2014 hat der BGH seine Rechtsprechung zum Tatbestand der schweren Verfehlung i.S.d. § 1611 fortentwickelt. Eine schwere Verfehlung liegt nur dann vor, wenn eine tiefgreifende Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Unterhaltspflichtigen angenommen werden kann. Eine vom Unterhaltsberechtigten ausgehende Kontaktverweigerung zu seinem eigenen Kind ist nach Auffassung des BGH zwar eine Verfehlung und verletzt § 1618 a BGB. Neben dieser Verfehlung müssen jedoch weitere Umstände hinzutreten, um eine Unterhaltsverwirkung i.S.d. § 1611 BGB herbeizuführen. Im zugrunde liegenden Fall hatte sich der Vater in den ersten 18 Lebensjahren des Kindes um dieses gekümmert und hat mit der Enterbung (der Pflichtteil stand dem Sohn weiterhin zu) nur die dem Vater gesetzlich zustehende Testierfreiheit verwirklicht. Der BGH hatte in der Vergangenheit Verwirkung angenommen, wenn der jetzt bedürftige Elternteil gegenüber dem Kind insbesondere seine Unterhaltspflicht im Kleinkindalter und bis zum 18. Lebensjahr nicht erfüllt hatte (BGH, FamRZ 2004, S. 1559) bzw. das Kind bereits im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen hat und ausgewandert ist. Verwirkung ist in der Rechtsprechung weiterhin angenommen worden, bei Misshandlungen des Kindes, sexuellem Missbrauch usw. (Palandt/Diederichsen, § 1611 Rdn. 4 ff. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach schon bisheriger Rechtsprechung ist § 1611 BGB eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, sodass reiner Kontaktabbruch, Taktlosigkeiten, das Ansprechen des Kindes mit „Sie“ etc. nicht ausreichend ist um den Unterhaltsanspruch zu verwirken. Die Meinungen zur „Richtigkeit“ dieser Entscheidungen gingen weit auseinander, so kritisierten ranghohe Politiker in der SPD den Richterspruch. Auch der Verband ISUV/VDU hat in seiner Presseerklärung vom 12.02.2014 gefragt, ob es nicht doch grob unsolidarisch sei und somit eine schwere Verfehlung darstellen würde, wenn ein Vater dem Kind durch Enterbung nur die „Unterhaltsschulden“ hinterlässt und im Übrigen eine Dritte Person zum Erben einsetzt, einhergehend mit einem 40-jährigen Kontaktabbruch. Dieses Argument „hinkt“ jedoch, da ohnehin zunächst das gesamte Vermögen des bedürftigen Elternteils aufzubrauchen ist, bevor ein Kind zum Unterhalt herangezogen wird und somit ohnehin nichts mehr zum Vererben vorhanden ist. Auch Dritte, die zum Erben eingesetzt sind, werden in diesen Fällen nichts erben und die alleinige Einsetzung eines Dritten zum Erben, der ohnehin nichts erbt, kann nicht zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruches führen. Andere politische Strömungen, insbesondere aus CDU und CSU halten die Entscheidung für richtig, da es kaum auf die „Wetterlage“ in der Familie ankommen kann, ob ein bedürftiger älterer Mensch von seinen Kindern Unterhalt bekommt oder nicht. Es ist gerade nicht einzusehen, wenn wegen der familiären Probleme die Solidargemeinschaft, d. h. alle Steuerzahler, d. h. wir alle, für Heimkosten aufzukommen hätten. Aufgrund der immer mehr werdenden pflegebedürftigen Menschen und immer mehr werdender Pflegekosten entlastet eine solche BGH-Rechtsprechung letztendlich auch die öffentlichen Haushalte. Es mag jeder für sich entscheiden, was er für „gerecht“ empfindet. Nachdem im Rahmen des sogenannten Elternunterhaltes ohnehin durch die Rechtsprechung hohe Selbstbehalte, hohe Freibeträge für Vermögen und eine selbstgenutzte Immobilie festgelegt sind, werden insbesondere Bezieher von unteren oder mittleren Einkommen ohnehin kaum auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen sein (siehe hierzu Merkblatt Nr. 15 des Verbandes ISUV/VDU e. V. von RA Simon Heinzel). Es gibt für jede zu vertretende Rechtsmeinung entsprechende Argumente. Warum soll für kinderlose bedürftige Senioren immer der Steuerzahler aufkommen und bei bedürftigen Senioren, die Kinder in die Welt gesetzt haben nicht automatisch der Steuerzahler? Auf der anderen Seite ist es eine berechtigte Frage, warum der Steuerzahler aufkommen soll, wenn es leistungsfähige Kinder gibt. Eltern ist in diesen Fällen zu raten, wenn sie den Kindern später nicht auf der Tasche liegen wollen, entsprechende Vorsorge für den Pflegefall durch private Pflegeversicherung zu betreiben. Denn zumeist haben die Eltern im Alter gar nicht mehr die Entscheidungsbefugnis, darüber zu befinden ob sie ihre Kinder in Anspruch nehmen oder nicht. Das erledigen die Sozialbehörden, die zunächst für Pflegeheimkosten etc. in Vorleistung treten.

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Das gesamte Pflegefallrisiko bzw. Armutsrisiko im Alter kann nach Auffassung des Verfassers nicht in vollem Umfang der Allgemeinheit aufgebürdet werden, wenn es Verwandte gibt, die entsprechend der Gesetzeslage (§ 1603 BGB) leistungsfähig sind, den eigenen Verwandten unter die Arme zu greifen. Auch ist nach diesseitiger Auffassung zu prüfen, ob der spätere Bedürftige unter Zugrundelegung seiner finanziellen Möglichkeiten für private Altersvorsorge gesorgt hat, um auch danach zu bemessen, ob die Familie „in der Not“ sich auch finanziell zu beteiligen hat. Sich auf staatliche Hilfen zu verlassen, kann auch nicht der richtige Weg sein. In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des BGH als eine juristisch saubere Lösung zu werten, denn wer sich in der Kindheit des Sohnes/der Tochter um dieses Kind gekümmert hat, kann und muss auch für sich in Anspruch nehmen, im Alter auf dieses Kind „zurückzugreifen“. Es muss bei extremen Ausnahmefällen verbleiben, in denen dann ein Verwirkungstatbestand greift, mit der weiteren Folge, dass die Allgemeinheit dann die Kosten zu tragen hat. Das BGB sieht nun mal eine Unterhaltsverpflichtung unter Verwandten gerader Linie vor, diese Unterhaltspflicht kann keine Einbahnstraße nur in der Richtung der Eltern zu ihren Kindern sein, sondern eben – auf der Grundlage des bestehenden BGB – auch in die andere Richtung.

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Zu Ziffer 2)

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Die zweite Entscheidung des BGH im Februar 2014 zum Elternunterhalt befasst sich mit der heiklen Frage, inwieweit ein unterhaltspflichtiges Kind, welches auf Elternunterhalt in Anspruch genommen wird, eigenes Einkommen einzusetzen hat und darüber hinaus ggf. auch indirekt Einkommen des verheirateten Ehepartners mit einzubeziehen ist, wenn die Eigeneinkünfte des unterhaltspflichtigen Kindes unter dem Selbstbehalt beim Elternunterhalt liegen. Der Selbstbehalt gegenüber Eltern liegt derzeit bei 1600 Euro netto monatlich, wobei dann jedweder Einkommensbetrag, der darüber liegt zu 50 % für den Elternunterhalt einzusetzen ist.

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  • Verfügt das unterhaltspflichtige Kind, welches verheiratet ist, über kein eigenes Einkommen, hat dieses Kind gegenüber seinem Ehegatten einen Taschengeldanspruch in Höhe von ca. 5 - 7 % des Einkommens des Ehegatten. Von diesem Taschengeld muss ihm jedoch ein Betrag in Höhe von 5 – 7 % des sogenannten Familienselbstbehaltes verbleiben, sowie die Hälfte des darüberhinausgehenden Taschengeldes (BGH, FamRZ 2013, S. 363, Dose, FamRZ 2013, S. 993 ff.). Der Familienmindestselbstbehalt beträgt derzeit 2880 Euro (1600 Euro x 2 ./. 10 % Vorteil des Zusammenlebens in der Ehe = BGH, FamRZ 2010, S. 1535). Hat z. B. der Ehemann ein Einkommen von 5000 Euro, wären 5 % Taschengeld 250 Euro. Rechnet man 250 Euro abzüglich 5 % vom Familienselbstbehalt i. H. von derzeit 144 € (5 % von 2880 €), ergibt dies 106 €. Davon die Hälfte ergibt eine Unterhaltsverpflichtung von 53 Euro gegenüber dem eigenen Elternteil. Somit zahlt indirekt der Ehegatte z. B. für seinen Schwiegervater 53 Euro monatlich.

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  • Verfügt das unterhaltspflichtige Kind über höhere Einkünfte als sein Ehegatte, ist die Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Elternunterhalt nach der Entscheidung des BGH vom 28.07.2010 (FamRZ 2010, S. 1535) in der Regel wie folgt zu ermitteln:
     Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes                      3000 € Einkommen der Ehefrau/Ehemann                                    1000 €                                                                  4000 € abzgl. Familienmindestselbstbehalt, derzeit                  ./. 2880 €                                                                 1120 € von dem Restbetrag bleibt dem Ehegatten zusätzlich die Hälfte nach Abzug von 10 % Haushaltsersparnis               ./.   112 €                                                                  1008 € hiervon die Hälfte, verbleiben dem Ehegatten, somit               504 € zzgl. des Familienmindestselbstbehaltes                          2880 € individueller Familienselbstbehalt somit                         3383 € Nachdem Verhältnis der Einkommen hier ¾ zu ¼ sind ¾ des individuellen Familienselbstbehaltes                     2538 € dieses abgezogen vom Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes.                                    3000 € ergibt eine Unterhaltsverpflichtung i.H.v.                     462 €
 Wäre nur auf der Grundlage des Einkommens des Unterhaltspflichtigen gerechnet worden, wäre die Hälfte des über 1600 € liegenden Einkommens als Unterhalt zu berechnen, mithin 3000 € ./. 1600 € : 2 ergäbe 700 € Unterhalt. 

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  • Verfügt das unterhaltspflichtige Kind über niedrigere Einkünfte als sein Ehegatte, hat der BGH mit Beschluss vom 5.2.2014 (Ziffer 2) entschieden, dass die Berechnungsmethode heranzuziehen ist, wie oben, bei höheren Einkünften. Der BGH führt aus, dass die Ermittlung des individuellen Familienbedarfs sicherstelle, dass der Elternunterhalt nur aus dem Einkommen/Familienunterhaltsanspruch des unterhaltspflichtigen Kindes gespeist wird. Eine verdeckte Haftung des besserverdienenden Schwiegerkindes sei damit ausgeschlossen. Dem unterhaltspflichtigen Kind verbleibt immer der Anteil, den es zum Familienbedarf beizutragen hat. Der dem unterhaltspflichtigen Kind zu belassende anteilige individuelle Familienbedarf kann geringer sein als der Betrag, der einem alleinstehendem unterhaltspflichtigem Kind verbleiben müsste. Die Kritik liegt darin, dass bei gleich hohem Einkommen ein alleinstehender Unterhaltspflichtiger – auch bei einem fiktiven Abzug von 10 % seines Selbstbehaltes wegen Haushaltsersparnis, z. B. bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft – weniger für den Elternunterhalt aufzubringen hat als ein verheiratetes unterhaltspflichtiges Kind. Der BGH führt aus, dass dieses Ergebnis seine Rechtfertigung darin findet, dass das unterhaltspflichtige Kind durch den Familienunterhalt eine zusätzliche Absicherung hat. Dies hat zur Folge, dass dann, wenn dem unterhaltspflichtigem Kind von seinem Einkommen ein entsprechender Anteil des individuellen Familienbedarfs verbleibt, es keiner weiteren Absicherung i.H.v. 5 – 7 % des Familienselbstbehaltes mehr bedarf. Nur bei einem unterhalb des Taschengeldanspruches liegenden Einkommens ist auch das Taschengeld einzusetzen und dementsprechend der insoweit bestehende Selbstbehalt zu beachten (BGH, FamRZ 2013, S. 363~ Dose, FamRZ 2013, S. 993 ff.). Damit ergibt sich auch folgende grundsätzliche Berechnung:

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 Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes                         1000 € Einkommen der Ehefrau/Ehemann                                      3000 €                                                                    4000 € abzgl. Familienmindestselbstbehalt, derzeit                    ./. 2880 €                                                                    1120 € von dem Restbetrag bleibt dem Ehegatten zusätzlich die Hälfte nach Abzug von 10 % Haushaltsersparnis                 ./.   112 €                                                                    1008 € hiervon die Hälfte, verbleiben dem Ehegatten, somit                 504 € zzgl. des Familienmindestselbstbehaltes                          2880 € individueller Familienselbstbehalt somit                           3383 € Nachdem Verhältnis der Einkommen hier ¼ zu ¾ sind ¾ des individuellen Familienselbstbehaltes                          846 € dieses abgezogen vom Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes.                                      1000 € ergibt eine Unterhaltsverpflichtung i.H.v.                          154 € 

Exkurs Elternunterhalt

Die beiden Entscheidungen behandeln nur zwei Teilaspekte des immer wichtiger werdenden Gesamtkomplexes des Elternunterhaltes. Bereits im ISUV-Report Nr. 139/März 2014 ist der Elternunterhalt thematisiert worden. Neben der Thematik der Verwirkung (Urteil 1) und er Thematik der Schwiegerkindhaftung (Urteil 2) spielt eine große Rolle die Frage, welches Vermögen das unterhaltspflichtige Kind einzusetzen hat, inwiefern eventuelle Schenkungen des nunmehr unterhaltsberechtigten Elternteiles zurückgefordert werden können und wie Geschwister am Unterhalt der Eltern zu beteiligen sind. Beim sogenannten Schonvermögen gibt es keine pauschalierten Beträge, sondern es ist zu unterscheiden zwischen dem sogenannten Notschonvermögen (Notgroschen), einem Vorsorgevermögen und einem Altersvorsorgevermögen.

  • Notschonvermögen: Dieses Schonvermögen muss dem Unterhaltspflichtigen verbleiben zur Sicherung von Notlagen, Ersatzbeschaffungen, allfälligen Reparaturen etc. Die Höhe wird in der Rechtsprechung sehr unterschiedlich bemessen, in jedem Fall in Höhe des sozialhilferechtlichen Notgroschens i.H.v. derzeit 3600 €. Aufgrund des individuellen Lebenszuschnittes haben Gerichte aber auch dieses Notschonvermögen auf bis zu 20.000/25.000 € taxiert, in der Literatur wird eine alte Kaufmannsregel favorisiert, wonach das dreifache des Monatsnettoeinkommens für Notfälle zu reservieren wäre (Hauß, Elternunterhalt, 4. Auflage). Als Praxistipp sollte ein in Anspruch genommenes Kind in jedem Fall einen Betrag von ca. 15.000 € hierfür ansetzen.
  • Vorsorgevermögen/Ausbildungsvermögen: Wenn konkret zu benennende Ansparungen notwendig sind, z. B. Anschaffungen für ein neues Taxi, weil dies den Lebensunterhalt sichert, und diese Ansparung aus der Vergangenheit nachweisbar ist, ist auch ein solches Vermögen nicht anzugreifen. Selbiges gilt für Ansparungen für konkret zu benennende Immobilieninstandsetzungsmaßnahmen (BGH, FamRZ 2006, S. 1511). Dies gilt auch für angesparten Ausbildungsvermögen zur Sicherung der Ausbildung von eigenen Kindern.
  • Altersvorsorgevermögen: Dieses dient zur Sicherung der eigenen Altersvorsorge und der Altersversorgung eines vorrangig Unterhaltsberechtigten. Die Höhe richtet sich nach der Rechtsprechung des BGH nach dem erzielten Bruttoeinkommen unter Berücksichtigung der Dauer der bisherigen Erwerbstätigkeit. Da es unterhaltsrechtlich akzeptiert wird, dass 5 % des Bruttoeinkommens für zusätzliche Altersvorsorge verwendet werden darf und bei einem Einkommen über der Sozialversicherungsgrenze 25 % (wie bei einem Selbstständigen), hat der BGH (BGH, FamRZ 2006, S. 1511, FamRZ 2007, S. 793, FamRZ 2009, S. 1207 u. a.) nachfolgende Berechnungsmethode entwickelt. Der BGH rechnet mit den tatsächlichen Arbeitsjahren, andere wiederum pauschal ab dem 18. Lebensjahr. Das damit errechnete Altersvorsorgevermögen wird dann grundsätzlich noch mit 4 % verzinst.
 Beispiel: Lebensarbeitszeit (nach BGH die tatsächlichen Arbeitsjahre):         37 Jahre Bruttomonatseinkommen im Zeitpunkt der Inanspruchnahme:        6300 Euro Beitragsbemessungsgrenze für Sozialversicherung                    5500 Euro somit Sozialversicherungspflichtiges Einkommen:                          5500 Euro nichtsozialversicherungspflichtiges Einkommen                       800 Euro zusätzliche Altersvorsorge 5 % von 5500 Euro                        275 Euro zusätzliche Altersvorsorge 25 % von 800 Euro                     200 Euro Gesamtrücklage monatlich                                            475 Euro Altersrücklage (verzinst mit 4 %)
 4 % über 37 Jahre x 12 Monate = 444 Monate x 475 Euro =        465.702 Euro

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Hieran erkennt man, dass dann, wenn das unterhaltspflichtige Kind geringeres Einkommen hat und/oder die Lebensarbeitszeit sich anders darstellt, der Altersvorsorgevermögensbetrag ein völlig anderer ist. Zum Altersvorsorgevermögen gehören alle Vermögenswerte, wie Lebensversicherungen, private Rentenversicherungen, Immobilien, mit Ausnahme der selbstgenutzten Immobilie, sofern es sich nicht um eine Luxusimmobilie handelt. Der BGH hat zwischenzeitlich entschieden, dass diese normalen, selbstgenutzten Immobilien neben dem anderweitig zu berechnenden Altersvorsorgeschonvermögen nicht für den Unterhalt der eigenen Eltern einzusetzen ist. Nicht entschieden ist bislang die Frage, wie ein unterhaltspflichtiges Kind zu behandeln ist, welches innerhalb einer Ehe aufgrund des sehr guten Verdienstes des Ehegatten eigene Arbeitstätigkeit eingestellt hat, aus vormaligem Verdienst und auch aus ehebedingten Zuwendungen Vermögen hat, aber mangels Eigeneinkommen ein Altersvorsorgevermögen nach der BGH-Methode kaum oder nicht zu berechnen ist. Ist an den letzten Eigenverdienst anzuknüpfen? Gerechnet bis zur Arbeitseinstellung oder bis zur Inanspruchnahme auf Unterhalt? Ist ein Altersvorsorgevermögen auf der Basis eines fiktiven Familienunterhaltes gegenüber dem Ehegatten analog der BGH-Methode zu errechnen? Alles noch offene Fragen.

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Sind Geschwister vorhanden, haften die Geschwister untereinander quotal entsprechend ihrer Einkommens-/Vermögensverhältnisse. Insoweit haben die Geschwister untereinander Auskunftsverpflichtungen.

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Zu bedenken ist weiterhin die Möglichkeit der Rückforderung von Schenkungen durch den bedürftigen Elternteil bzw. die Sozialhilfebehörde gemäß § 528 BGB. Insoweit können Schenkungen, die noch keine 10 Jahre zurückliegen jederzeit zurückgefordert werden. Problematisch sind auch Fälle, in denen dem Kind z. B eine Immobilie übertragen wurde, der Elternteil sich ein Wohnrecht lebenslang gesichert hat, jetzt aber dieses Wohnrecht nicht mehr nutzen kann (Ausübungshindernis), weil im Pflegeheim. Es entsteht nicht automatisch ein Zahlungsanspruch den Wohnrechtsinhabers in Höhe des Mietwertes, sodass auch eine Überleitung auf den Sozialhilfeträger nicht ohne weiteres möglich ist. Insoweit ist entscheidend, ob das Wohnrecht marktfähig ist, d. h. ob es sich um eine abgeschlossene Wohnung handelt, dann zu bejahen, oder ob es sich um einzelne Zimmer in einem Familienheim handelt, dann zu verneinen. Es muss daher immer geprüft werden, ob eine Fremdvermietung zumutbar und möglich ist, danach bestimmt sich die Frage, ob der Wohnungsrechtsinhaber einen Zahlungsanspruch hat, der dann wie Einkommen des unterhaltsberechtigten Elternteils zu behandeln ist.

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Der Verfasser hat an dieser Stelle aufgrund der Aktualität im Rahmen der Urteilsbesprechungen einen kleinen Exkurs zum Elternunterhalt gewagt, kann keinesfalls Vollständigkeit für sich beanspruchen. Weiterführend zu dieser Thematik das Merkblatt Nr. 15 des Verbandes ISUV/VDU (Elternunterhalt: Verfasser RA Simon Heinzel), sowie Dose, FamRZ 2013, S. 993 ff. sowie Hauß, Elternunterhalt, 4. Auflage 2012.