BGH, Urteil vom 19.9.2013 – Rechtsberatung

Suchen Eheleute gemeinsam einen Rechtsanwalt auf um sich in ihrer Scheidungsangelegenheit beraten zu lassen, hat der Anwalt vor Beginn der Beratung auf die gebühren- und vertretungsrechtlichen Folgen einer solchen Beratung hinzuweisen, insbesondere dass bei gegenläufigen Interessen eine gemeinschaftliche Beratung und insbesondere eine gemeinschaftliche Beauftragung nur eines Rechtsanwaltes nicht möglich ist.

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 19.09.2013 
Aktenzeichen    : IX ZR 322/12 
Leitparagraph   : BGB §675, BRAO §43a 
Quelle          : FamRZ 2014, Seite 35 ff., FF 2014 Seite 23ff 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel

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Inhalt:

In der Praxis kommt es recht häufig vor, dass scheidungswillige Eheleute insbesondere aus Kostenersparnisgründen nur einen Rechtsanwalt gemeinschaftlich aufsuchen und davon ausgehen, dass bei „einvernehmlicher“ Scheidung dies mit nur einem Rechtsanwalt möglich ist und auch dadurch gemeinschaftliche Beratung gangbar sei. Auch im zugrundeliegenden Fall haben die Eheleute gemeinsam einen Rechtsanwalt aufgesucht. Bereits zu Beginn des Gesprächs ergab sich, dass die Eheleute unterschiedliche Vorstellungen über die Modalitäten der Trennung und der Scheidung hatten. Die Ehefrau hat in der Folgezeit einen anderen Rechtsanwalt beauftragt, der Ehemann blieb zunächst bei dem bisherigen Rechtsanwalt, kündigte jedoch dann das Mandat und hat die Vergütung der bisherigen Tätigkeit seines Rechtsanwaltes abgelehnt mit dem Einwand, sein Rechtsanwalt hätte das Mandat von Anfang an nicht weiterführen dürfen („Interessenkollision“) und hat daher auch keinen Honoraranspruch. Die Honorarklage des Rechtsanwaltes hat sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht abgewiesen, auch der BGH sieht keinen Honoraranspruch.

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Gerade in Scheidungsangelegenheiten muss man sich im Klaren sein, dass die Interessen der Eheleute in nahezu allen Fällen sich zumindest teilweise widersprechen und daher eine gemeinsame Beratung nach Auffassung des Verfassers dann nicht möglich ist, wenn das Ziel verfolgt wird, später ggf. nur einen der beiden Eheleute zu vertreten. Zwar sieht das Gesetz vor, dass wenn ein durch einen Rechtsanwalt vertretener Ehepartner einen Scheidungsantrag einreicht, der andere auch ohne rechtsanwaltschaftliche Vertretung diesem Scheidungsantrag zustimmen kann, sobald jedoch eigene Anträge gestellt werden sollen, bedarf es einer eigenen anderweitigen rechtsanwaltlichen Vertretung des bislang rechtsanwaltschaftlichen Vertretenen. Unzweifelhaft kann ein Rechtsanwalt in einem Scheidungsverfahren nicht beide Eheleute vertreten. Das durch die Ehe begründete einheitliche Lebensverhältnis ist eine identische Rechtssache, sodass wegen der typischerweise gegenläufigen Interessen eine gemeinsame Beratung nicht möglich ist und schon aus diesem Grund wegen des Verstoßes gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, der Anwaltsvertrag unwirksam ist. Dies sogar mit der Folge, dass ggf. ein sogenannter Parteiverrat vorliegt, der strafrechtliche Konsequenzen hat. Jedenfalls dann, wenn eine gemeinsame Beratung der Eheleute nicht dazu führt, dass der eigentlich bestehende Interessenwiderstreit der Eheleute durch eine Scheidungsfolgenvereinbarung aufgehoben wird, führt dies dazu, dass ein Rechtsanwalt für keinen der beiden Ehepartner mehr tätig sein darf. Darüber hinaus wird auch die Rechtsauffassung vertreten, dass eine gemeinsame Beratung immer unzulässig ist. Der BGH hat im zu entscheidenden Fall die Auffassung vertreten, dass der unauflösliche Interessenwiderstreit nicht schon von Anfang an vorhanden war, sondern erst nach der endgültigen Beratung, weil es zu keinem Ergebnis kam. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch die abgerechneten Rechtsanwaltsgebühren bereits entstanden, sodass grundsätzlich sogar ein Gebührenanspruch des Rechtsanwalts bestand. Der BGH hat jedoch dann einen Gebührenanspruch nach § 242 BGB verneint, weil diesem Gebührenanspruch ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe entgegenstand, da der Rechtsanwalt von Anfang an und insbesondere vor der gemeinsamen Beratung darauf hätte hinweisen müssen, dass ein Anwalt im Grundsatz nur einen von ihnen beraten kann, dass er bei einer gemeinsamen Beratung auch später nicht mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten darf und wenn es nicht zu einer einvernehmlichen Scheidungsfolgenvereinbarung kommt, er das Mandat gegenüber beiden Eheleuten niederlegen muss. Selbst in einem solchen Fall darf dieser Rechtsanwalt dann auch nicht einen der Eheleute im Scheidungsverfahren vertreten. Zudem hätte der Rechtsanwalt dahingehend belehren und aufklären müssen, dass zusätzliche Kosten dadurch entstehen, wenn eben eine Scheidungsfolgenvereinbarung nicht gelingt, da dann bei einem anderen Rechtsanwalt die gleichen Kosten nochmal anfallen.

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Ein Rechtsanwalt sollte sich im Klaren sein, dass er bei gemeinsamer Beratung letztendlich wie ein Mediator auftritt und somit nachfolgend bei Scheitern der Mediation keinen der beiden Eheleute vertreten darf und selbst bei erfolgreicher Mediation keinen der beiden Eheleute im Scheidungsverfahren vertreten darf. Dies gilt insgesamt auch für Rechtsanwälte innerhalb einer Sozietät, wohl auch bei einer reinen Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten „unter einem Dach“. Zwar wünschen scheidungswillige Eheleute häufig aus Kostengründen nur „einen Anwalt“, im Hinblick auf die durch den BGH bestätigte Rechtsauffassung kann dies sogar teurer werden. Einem Rechtsanwalt ist grundsätzlich zu raten, wenn er nicht nur Mediator sein will und auch später einen der beiden Eheleute vertreten will, auch im Scheidungsverfahren, dass er dann vor der ersten Beratung darauf hinweist, dass er nur und ausschließlich denjenigen vertritt, der mit ihm den Termin ausgemacht hat, der mit ihm den Erstkontakt hatte und ausdrücklich den anderen darauf hinweist, dass er aufgrund einer Interessenkollision grundsätzlich nur einen vertreten kann, sogar strafrechtlich belangt wird bei widerstreitenden Interessen, und daher der andere gerne sich allgemeine Ausführungen zur Rechtslage mit anhören kann und darf, jedoch damit eine Rechtsvertretung nicht verbunden ist.

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Aus den genannten Gründen, auch aus dem Unterlassen der entsprechenden Aufklärung, hat der BGH dem Rechtsanwalt jegliche Gebührenforderung verweigert und dessen Klage abgelehnt. Ein Anwalt muss immer im Auge haben, dass er neben der Grundpflicht widerstreitende Interessen nicht vertreten zu dürfen (§ 43 a BRAO) durch solches Verhalten sich auch strafbar machen kann gemäß § 356 StGB (Parteiverrat). Der BGH hatte letztendlich nicht darüber zu entscheiden, ob nach gelungener Herbeiführung einer Ehescheidungsfolgenvereinbarung der Anwalt berechtigt ist für einen Ehegatten den Scheidungsantrag zu stellen, in welchem der andere Ehegatte auf anwaltliche Vertretung verzichtet. Nach diesseitiger Auffassung ist dies mit Vorsicht zu genießen, da der BGH in seiner Entscheidung auch die hierzu kritischen Rechtsmeinungen zitiert hat (andere Auffassung: Börger, Anmerkung zu diesem BGH-Urteil, FamRZ 2014, Seite 37). In einer Scheidungsauseinandersetzung sind auch nach diesseitiger Auffassung widerstreitende Interessen kaum zu vermeiden und eigentlich nicht gegeben, sodass auch bei einer gemeinsamen Beratung, die in einer Scheidungsfolgenvereinbarung endet, für einen Rechtsanwalt, der nicht ausdrücklich als Mediator auftritt, dies nicht möglich ist. Dies mit den genannten Konsequenzen des Verlustes des Honoraranspruchs, der Notwendigkeit der Mandatsniederlegung für beide Eheleute und der Gefahr, den strafrechtlich relevanten Parteiverrat begangen zu haben.