BGH, Urteil vom 18.1.2012 – Unterhalt, konkrete Bedarfsermittlung

a) Der unterhaltsberechtigte Ehegatte trägt im Rahmen des Unterhaltsanspruchs wegen Erwerbslosigkeit die Darlegungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass er keine reale Chance auf eine Vollzeitarbeitsstelle hat, sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung (sog. Mini-Job) und auch für eine Erwerbstätigkeit im Rahmen der Gleitzone nach § 20 Abs. 2 SGB IV (sog. Midi-Job) zutrifft.

b) Bewohnt der Unterhaltsberechtigte nach der Scheidung weiterhin das eheliche Einfamilienhaus, geht dies im Rahmen der konkreten Bedarfsermittlung regelmäßig über seinen Wohnbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen hinaus. Dieser wird bereits durch eine dem ehelichen Standard entsprechende Wohnung für eine Person gedeckt.

c) Zum Verhältnis von Vermögensverwertung nach § 1577 Abs. 1 BGB und Herabsetzung/Befristung des Unterhalts nach § 1578 b BGB.

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Urteil

Gericht         : BGH 
Datum           : 18.01.2012 
Aktenzeichen    : XII ZR 178/09 
Leitparagraph   : BGB §1573 
Quelle          : FamRZ 2012, S.517 
Kommentiert von : RA Simon Heinzel 

Inhalt:

Der BGH hat sich in diesem Fall mit der Beschäftigungschance einer 54-jährigen Ehefrau befasst, die keine Berufsausbildung hat und in den vergangenen 26 Jahren max. 4/5 Stunden täglich gearbeitet hat, dies als Ehefrau des Chefs eines mittelständigen Unternehmens. Zunächst hat der BGH den Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit (weil eine angemessene Tätigkeit ausgeübt wird) geprüft. Der BGH geht davon aus, dass die Ehefrau wieder in ihrem früheren Beruf als Verkäuferin tätig sein kann, für die Angemessenheit ist der gehobenere Job als „Ehefrau des Chefs“ nicht maßgeblich. Der BGH hat weiterhin festgestellt, dass aufgrund der Gesamtsituation eine Beschäftigungschance für eine vollschichtige Tätigkeit nicht besteht. Auf der anderen Seite hat der BGH moniert, dass nicht nur ein sog. Mini-Job ggf. anzurechnen ist, sondern auch weitergehende Beschäftigungschancen zu realisieren sind.

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Ein Schwerpunkt der Entscheidung, was aus den Entscheidungsgründen nicht so hervorgeht, ist die Frage der konkreten Bedarfsberechnung bei gehobenen Einkünften des Unterhaltsverpflichteten. Born hat hierzu einen interessanten Aufsatz verfasst, dies unter dem Titel: „Falte, Runzel, Krähenfuss – Schönheitsfragen jetzt auch im Unterhaltsrecht“ (FamFR 2012, Seite 145 ff.). Dies deshalb, weil die Ehefrau in ihrer konkreten Bedarfsermittlung neben allgemeinen Kosmetikaufwendungen (105 €/Monat) auch (wie in der Vergangenheit) für die Zukunft Kosten für kosmetische Operationen mit ca. 2000 € im Jahr geltend gemacht hat. Der Ehemann hatte eingewandt, dass die Ehefrau zukünftig keine Repräsentationspflichten als Unternehmergattin mehr habe und daher ein Bedarf nicht vorliegt. Das Gericht hat nicht in Abrede gestellt, dass Operationen aufgrund altersbedingter Erscheinungen, die zwangsläufig auftreten, ggf. notwendig sind. Ein pauschaler Mehrbedarf sei jedoch nicht festzulegen, weil eine feste Zeitspanne zur Erneuerung bestimmter Maßnahmen (etwa Fettabsaugen) sich nicht festlegen lasse und daher eine Pauschalierung nicht möglich ist. Es kann sich allenfalls um Sonderbedarf handeln, der dann im Einzelfall ggf. geltend zu machen ist, da der Bedarf erst in der Zukunft auftritt. Andere Bedarfsbeträge hat das Gericht anerkannt, weil auch die ehelichen Lebensverhältnissen davon geprägt waren, wie etwa Zigarettenkonsum~ der Einwand des Mannes, dass „Nichtrauchen“ gesundheitsförderlicher wäre und er den Tabakkonsum, den er ohnehin nie gebilligt hat, mit Alkohol- und Drogenmissbrauch gleichsetzt, wurde vom Gericht nicht als stichhaltig angesehen.

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An dieser Stelle zur konkreten Bedarfsberechnung:

Ab wann eine konkrete Bedarfsberechnung zu erfolgen hat, wird sehr unterschiedlich gesehen. Eine direkte „Sättigungsgrenze“ gibt es nicht (BGH, NJW 2010, S. 3372, Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage, § 4, Rdn. 765). Auch die „Schallgrenze“, ab der eine Bedarfsberechnung angezeigt ist, wird sehr unterschiedlich bestimmt. Das OLG Hamm und das OLG Oldenburg gehen von einem gemeinsamen bereinigte Nettoeinkommen der Eheleute oberhalb der höchsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle, derzeit 5100 € aus. Das OLG Köln hingegen setzt als Grenze einen Bedarf (nicht Einkommen) von 5100 € an. Nach OLG Frankfurt am Main und OLG Jena liegt die Grenze bei Unterhaltshöhe von 2500 €. Das OLG Koblenz geht von einer Bedarfsberechnung aus, wenn das gemeinsame Einkommen der Eheleute das doppelte von 5100 € erreicht, somit ab 10200 €. Der BGH hat in einer Entscheidung die Grenzziehung bei einem Einkommen von 5100 € gebilligt, ohne es jedoch damit festgeschrieben zu haben (BGH, NJW 2010, S. 3372). Wie man sieht doch sehr unterschiedliche Rechtsprechung, zu einer Rechtssicherheit trägt dies nicht bei.

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Gesicherte Rechtsprechung ist, dass wohl von den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten kein Erwerbstätigenbonus abzuziehen ist (BGH, NJW 2011, S. 303 ff.) und jegliches Einkommen im Wege der Anrechnung von dem Bedarf, der dargelegt ist, abzuziehen ist. Große Probleme bereitet jedoch alleine die Darlegung des Bedarfes nach den ehelichen Lebensverhältnissen (Urlaubsbedarf, Bedarf wegen Mitgliedschaften im Poloclub, Golfclub, aufwendige Mode, Schönheitsoperationen etc.) und der sich daran anschließenden Frage einer etwaigen Beschränkung und Befristung mangels ehebedingter Nachteile gemäß § 1578 B BGB. Maßgeblich ist immer das in der Zeit des Zusammenlebens praktizierte Konsumverhalten, korrigiert durch einen objektiven Maßstab, wobei es darauf ankommt, was vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters als angemessen, billigenswert und sinnvoll erscheint.

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Mit dem 3. Leitsatz (Ziffer c) hat sich der BGH noch mit der Frage der Vermögensverwertung im Unterhaltsrecht beschäftigt und darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich unbillig ist, gemeinsam erwirtschaftetes Vermögen aus der Ehe, auch wenn es im Rahmen des Zugewinnausgleichs gezahlt wird, für Unterhaltszwecke zu verwerten. Bei der Frage der Beurteilung der ehebedingten Nachteile hat der BGH auch ehebedingte Vorteile mit einbezogen (hier: Übertragung eines Grundstücks während der Ehe) und festgehalten, dass derartige Kompensation von Vor- und Nachteilen auch bei der Frage der Befristung eines Unterhaltsanspruch mit zu berücksichtigen sind.