BGH Entscheidung: angemessene Erwerbstätigkeit - Erwerbsobliegenheit - Kostenstundung

Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann die Stundung von Schulden nur aufgehoben werden, wenn der Schuldner es schuldhaft unterlassen hat, sich um eine angemessene Erwerbstätigkeit zu bemühen.

Die Rechtsbegriffe der „angemessenen Erwerbstätigkeit“ und der „zumutbaren Tätigkeit“ sind bei einer Insolvenz nicht in Anlehnung an das Unterhaltsrecht und das Sozialrecht auszulegen.

BGH, Beschluss vom 13.09.2012 - IX ZB 191/11

Hintergründe und Sachverhalt

Der arbeitslose hochverschuldete Mann beantragte im Juli 2010, das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen, ihm Restschuldbefreiung zu gewähren und ihm die Verfahrenskosten zu stunden. Bei dem Mann handelt es sich um einen damals 52 Jahre alten, voll arbeitsfähigen und örtlich ungebundenen Handwerker mit kaufmännischer Erfahrung, der niemandem zu Unterhalt oder Fürsorge verpflichtet ist. Das Insolvenzgericht gab dem Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten statt. Das Gericht  hatte zuvor einen Sachverständigen mit der Prüfung beauftragt, ob der Schuldner zahlungsunfähig ist, ob die Verfahrenskosten gedeckt sind und der Mann seiner Erwerbsobliegenheit nachkommt.

Im September 2010 schloss der Schuldner mit der Stadt Jena eine sogenannte Eingliederungsvereinbarung, in welcher er sich verpflichtete, alle Möglichkeiten zu nutzen, um seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Er verpflichtete sich gegenüber der Stadt im Monat jeweils vier Bewerbungen nachzuweisen. Entsprechend dieser Vereinbarung hatte der Mann in fünf Monaten 20 Bewerbungen geschrieben, die allerdings erfolglos waren.

Der Sachverständige war in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist und die Kosten des Verfahrens voraussichtlich nicht gedeckt sein werden. Er hatte allerdings dargelegt, dass der Mann seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt.

Das Gericht hob deswegen die Stundung der Verfahrenskosten auf und wies den Insolvenzantrag ab. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Mannes wies das Landgericht zurück.

Der BGH gab dem Mann recht, weil…

das Beschwerdegericht die objektiven Anforderungen an die Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit übertrieben habe. Es sei mehrfach schon entschieden, dass von einem Schuldner nicht gefordert werden könne, er müsse sich, um seinen Erwerbsobliegenheiten gerecht zu werden, 20 bis 30 mal im Monat bewerben, wie es teilweise die Familiengerichte von den Unterhaltspflichtigen minderjähriger unverheirateter und ihnen gleichgestellter volljähriger Kinder verlangten.

Allerdings hält der BGH auch die Eingliederungsvereinbarung des Mannes mit der Stadt Jena und die dort vereinbarten vier Bewerbungsbemühungen im Monat nicht als ausreichend. Vielmehr verwies der BGH auf seine Rechtsprechung aus der hervorgeht, dass ein Schuldner im Regelfall bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet ist und laufend Kontakt zu den für ihn zuständigen Mitarbeitern hält. Weiter müsse er sich selbst aktiv und ernsthaft um eine Arbeitsstelle bemühen, etwa durch stetige Lektüre einschlägiger Stellenanzeigen und durch entsprechende Bewerbungen. Als Richtgröße seien zwei bis drei Bewerbungen in der Woche gefordert, sofern entsprechende Stellen angeboten werden. Auch diesen Anforderungen sei der Mann mit seinen monatlichen vier Bewerbungen nicht nachgekommen.

Fakt ist, dass in besagtem Zeitraum genügend Stellen, die für den Mann in Frage gekommen wären, ausgeschrieben waren.

Letztlich bekam der Mann deswegen Recht, weil er auf die Eingliederungsvereinbarung mit der Stadt vertraut habe, die nur vier Bewerbungen im Monat vorsieht. Der BGH mahnte an, dass dem Mann vor Aufhebung des Stundungsantrages eine Chance eingeräumt werden müsse, sich verstärkt um eine angemessene Erwerbstätigkeit zu bemühen.

Im Familienrecht werden teilweise von Familiengerichten scharfe Anforderungen an die Erwerbsobliegenheit von Unterhaltspflichtigen gestellt, insbesondere wenn es um Kindesunterhalt geht. Unterhaltsschuldner werden dazu verurteilt, einen Nebenjob anzunehmen, um den Unterhaltsbedarf zu decken. – Allerdings ist die Rechtsprechung der Gerichte unterschiedlich.

Allerdings steht ausdrücklich in vielen Arbeitsverträgen, dass ein Nebenjob nicht ausgeübt werden darf. Wem sollen Betroffene folgen, dem Arbeitgeber oder dem Richter?-

Quelle: "openJur" - Redigiert JL