Aktuelle höchstrichterliche Entscheidungen zum Umgangsrecht / Wechselmodell - BVerfG - 2015

 

1. Der Gesetzgeber überschreitet seinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum nicht dadurch, dass er die Anordnung paritätischer Betreuung nicht als Regelfall vorsieht. Die Einbeziehung aller Eltern in den Schutzbereich des Art. 6 II GG bedeutet nicht, dass allen Müttern und Vätern stets die gleichen Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind eingeräumt werden müssen.

2. Ob die Anordnung einer paritätischen Betreuung gegen den Willen eines Elternteils – sei es im Wege sorgerechtlicher Regelung, sei es als umgangsrechtliche Regelung – nach dem derzeitigen Fachrecht ausgeschlossen ist, ist eine primär von den Fachgerichten zu klärende Frage.

3. Soweit die gerichtliche Anordnung einer paritätischen Betreuung nach geltendem Recht möglich wäre, könnte hierüber nur nach der jeweiligen Lage Einzelfalls unter Berücksichtigung des Kindeswohls und unter Beachtung der berechtigten Interessen der Eltern und des Kindes sachgerecht entschieden werden.

4. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Anordnung einer paritätischen Betreuung unter Hinweis auf im Einzelnen dargelegte erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten sowie eine nachvollziehbar prognostizierte weitere Steigerung des hohen Konfliktpotenzials der Eltern als nicht dem Kindeswohl entsprechend abgelehnt wird.

Beschluss:
Gericht: BVerfG
Datum: 24.06.2015
Aktenzeichen: 1 BvR 486/14 - Art 6 II, 3 I GG~ §§ 1671 BGB
Quelle: FF 2015, Seite 405 ff.

Kommentierung:

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer (Vater eines 2011 geborenen Kindes) vor allem dagegen, dass die Gerichte ihm kein paritätisches Umgangsrecht (Wechselmodell) eingeräumt haben und beanstandet die Gesetzeslage. Die Vorinstanzen haben ein Wechselmodell nicht angeordnet. Mag zwar das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gar nicht zur Entscheidung angenommen haben, so hat das BVerfG in seiner Begründung trotzdem zur der Frage der Verfassungskonformität der aktuellen Gesetzeslage bezüglich der Zuordnung der elterlichen Sorge sowie des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern, als auch einer möglicherweise gegen Verfassungsgrundsätze verstoßenden Auslegung der §§ 1671, 1684 BGB durch die vorangehenden Fachgerichte Stellung genommen. Das BVerfG hat in seinem Beschluss umfassend die in der Rechtsprechung vertretenden Meinungen zu der Frage dargestellt, ob gegen den geklärten Willen eines Elternteiles ein Wechselmodell möglich ist, ohne jedoch hier eine eigene Wertung vorzunehmen. Es wurde klargestellt, dass der Gesetzgeber durch die jetzige Gesetzeslage, die das Wechselmodell nicht als Regelfall vorsieht, seinen Gestaltungsspielraum in nicht zu beanstandender Weise ausfüllt und somit die derzeitige Gesetzeslage verfassungskonform ist. Offen bleibt in der Entscheidung, ob gegen den Willen eines Elternteiles ein Wechselmodell angeordnet werden kann. Das Verfassungsgericht verweist darauf, dass sowohl bei jetziger Rechtslage als auch bei evtl. veränderter Rechtslage immer die Elternverantwortung, die am Kindeswohl ausgerichtet sein muss im Vordergrund zu stehen hat. Das heißt im Klartext: Es muss stets eine tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmungen zwischen den Eltern bestehen um ein Wechselmodell zu installieren (so auch Clausus FF 2015 Seite 409 ff.). Die auch heute schon wichtige Frage der objektiven Kooperationsfähigkeit und des subjektiven Kooperationswillens der Eltern wird immer im Vordergrund zu stehen haben. Dem Kindeswohl kann es nur entsprechen, wenn durch das gelebte Betreuungsmodell ein nicht zusätzlicher elterlicher Konflikt vorliegt in den das Kind involviert wird. Zentraler Maßstab ist und bleibt das Kindeswohl. Exemplarisch führt das BVerfG aus, dass Eltern, die sich wechselseitig als „geisteskrank“ oder „klagewütig“ verunklimpfen und nicht bereit sind sich auf eine Elternmediation einzulassen deutlich machen, dass ein Wechselmodell nicht der geeignete Weg ist, da ein solches Modell eine intensive und kooperative Zusammenarbeit der Elternteile erfordert.

Es macht keinen Sinn an dieser Stelle die Einzelheiten der Verfassungsgerichtlichen Entscheidung wiederzugeben, klar positioniert hat sich das BVerfG dazu, dass es wohl keine gesetzgeberische Pflicht gibt das Wechselmodell als Regelfall einzuführen, weder aus verfassungsrechtlicher Sicht noch unter dem Blickwinkel UN – Kinderrechtskonvention. Insoweit spielt es überhaupt keine Rolle, ob diese Frage eine Frage der elterlichen Sorge oder eine Frage des Umgangsrechts ist, denn sowohl bei § 1671 BGB (Sorgerecht) als auch bei § 1684 BGB (Umgangsrecht) müssen die Fachgerichte die Grundrechtspositionen der Eltern und insbesondere das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Bei den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Instanzentscheidungen ist diesen Vorrausetzungen Rechnung getragen worden und daher nicht zu beanstanden. Ein Verfassungsverstoß war nicht zu erkennen.

Diese Entscheidung macht deutlich, dass auch das Verfassungsgericht keinen grundsätzlichen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht, im Einzelfall die Instanzgerichte unter Zugrundelegung des Kindeswohles zu entscheiden haben und das Wechselmodell derzeit nicht als „Regelfall“ gesetzlich zu normieren ist. Eine gute Übersicht über die derzeitige Rechtsprechung und über Entscheidungen der Instanzgerichte zu dieser Thematik finden Sie bei Hammer, FamRZ 2015 Seite 1433 ff. Ebenso empfohlen wird die Lektüre ISUV – Schriftenreihe Band 7 „Vom Starren Residenzmodell zum individuellen Wechselmodell“. Das Wechselmodell ist nicht nur bei der Frage seiner „Installierung“ umstritten, sondern insbesondere in Fragen des Kindesunterhaltes/Ehegattenunterhaltes, in verwaltungsrechtlichen Fragen (Wohnsitz, Kindergeldberechtigung, Sozialhilfe etc.) und wird sowohl Rechtsprechung als auch Literatur weiterhin beschäftigen.

- - - - - -

Auch abwechselnd bei Vater oder Mutter lebende Kinder (Wechselmodell) können nur einen Hauptwohnsitz haben.

Beschluss:
Gericht: BVerwG
Datum: 30.09.2015
Aktenzeichen: 6 C 38/14

Kommentierung:

Diese Entscheidung zeigt, dass die Problematik des Wechselmodells (siehe obige Entscheidung des BVerfG) in die verschiedensten Rechtsbereiche hineinreicht. Melderechtlich kann ein Kind nach dieser Entscheidung seine Hauptwohnung nur bei einem Elternteil haben. Die gesetzlichen Bestimmungen des Melderechtes sehen nur eine Hauptwohnung vor. Insoweit besteht beim Wechselmodell dann auch eine Verpflichtung der Eltern sich über den Hauptwohnsitz einig zu werden. Können sich die Eltern nicht einigen, soll Hauptwohnung die Wohnung desjenigen Elternteils sein, dessen Wohnung bislang Hauptwohnung oder alleinige Wohnung des minderjährigen Kindes war. Mit dieser Entscheidung hat das Gericht den Antrag des Vaters das Melderegister zu berichtigen abgelehnt. Mit der Frage des Wohnsitzes und des Hauptsitzes gehen häufig auch andere Fragen einher, wie z.B. die Kindergeldberechtigung, Wohngeldfragen, sozialhilferechtliche Fragen. Das Wechselmodell wirft viele Fragen in verschiedensten Rechtsbereichen auf. Nach der jetzigen Rechtslage wird man damit leben müssen, dass das Gesetz grundsätzlich von dem sogenannten Residenzmodell ausgeht und auch andere rechtliche Normen die Aufsplittung der Zugehörigkeit eines Kindes zu mehreren Eltern nicht kennt. 

- - - - - -

Die Zurückweisung des Antrages eines Elternteiles auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung des Umgangs mit seinem Kind durch das Familiengericht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn nur ein begleiteter Umgang in Betracht kommt, jedoch kein zur Mitwirkung bereiter Dritter vorhanden ist.

Beschluss:
Gericht: BVerfG
Datum: 29.07.2015
Aktenzeichen: 1 BvR 1468/15, Art. 6 II GG, §1684 BGB
Quelle: FF 2015 S. 451

Kommentierung:

Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein begleiteter Umgang nur gangbar / möglich ist, wenn jemand bereit ist der Begleiter zu sein. Gerichte haben keine Möglichkeit Dritten gegen ihren Willen eine Umgangsbegleitung aufzuerlegen. Auch kann grundsätzlich dem Jugendamt keine Weisung erteilt werden. Weigert sich das Jugendamt, stellt sich nur die Frage ob dies gegen § 18 Abs. 3 S.4 SGB VIII verstößt, wonach das Jugendamt in geeigneten Fällen – was immer das sein mag – beim begleitenden Umgang mitzuwirken hat. Eine Weigerung könnte dann ggf. im Wege der Dienstaufsicht geklärt werden, oder ggf. verwaltungsgerichtlich durch den umgangsberechtigten Elternteil. Offensichtlich wird hierin ein ausreichender Rechtschutz gesehen.

In der Praxis werden karitative Einrichtungen häufig für die Umgangsbegleitung hinzugezogen, bzw. diese Institutionen helfen hierbei. Dass ein begleiteter Umgang mit Schwierigkeiten behaftet ist liegt auf der Hand und wird selten der Interessen der Eltern gerecht. Wenn aber aus Sicht des Gerichtes nur ein begleiteter Umgang in Betracht kommt, muss eben mit „Unannehmlichkeiten“ bei der Umgangsbegleitung gelebt werden. Wenn sich aus den verschiedensten Gründen kein Umgangsbegleiter finden lässt, ist auch die Zurückweisung eines Umgangsantrages nicht verfassungswidrig. Welche Mitwirkungspflichten und Loyalitätspflichten der betreuende Elternteil hat, muss gemäß § 1684 Abs. 2 BGB im Einzelfall geprüft werden. 

 

Die Zusammenstellung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Familienrecht auf einer Vielzahl von Rechtsgebieten und verschiedenster oberster Gerichte macht deutlich, dass gerade das Familienrecht in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinwirkt und immer wieder Anlass gibt höchstrichterliche Entscheidungen zu treffen. Das Hauptaugenmerk bei der Zusammenstellung liegt auf dem Sorgerecht einschließlich des Wechselmodells, da dies gerade auch in der öffentlichen Diskussion steht. Dabei darf man aber auch für die Praxis wichtige Entscheidungen nicht übergehen (Lebensversicherung/Steuer).