Aktuelle höchstrichterliche Entscheidungen zum Sorgerecht - BVerfG und OLG Brandenburg - 2015

Beschluss:
Gericht: BVerfG
Datum: 24.08.2015
Aktenzeichen: 1 BvR 1388/15~ Art. 6 III GG~ § 1671 BGB
Quelle: NZFam 2015 S. 1026

Kommentierung:

Die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil (eheliches Kind) setzt keine Kindeswohlgefährdung voraus, wie sie bei der Trennung des Kindes von seinen beiden Eltern Art. 6 III GG bestehen muss.

Die Instanzgerichte hatten der Mutter die alleinige elterliche Sorge übertragen. Hiergegen wendet sich der Kindsvater. Die Instanzgerichte hatten auf der Grundlage von Jugendamtsberichten, Stellungnahme des Verfahrensbeistandes, des Verfahrensablaufes unter Einstellung der Ergebnisse des Umgangsverfahrens (Sachverständigengutachten), sowie des persönlichen Eindrucks der Beteiligten eine tragfähige soziale Grundlage zwischen den Eltern für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge verneint. Die Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig und in der Sache unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Verfassungsgericht führt aus, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge verfassungsrechtlich dann gerechtfertigt ist, wenn es an den tatsächlichen Voraussetzungen für die Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge fehlt. Das liegt insbesondere dann vor, wenn eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen fehlt. Insbesondere ist keine Voraussetzung für die Übertragung der alleinigen Sorge, dass bei fortbestehender gemeinsamer Sorge eine Kindeswohlgefährdung bestünde. Dies wird nur gefordert bei der Trennung eines Kindes von seinen beiden Eltern (Art. 6 III GG).

Mit dieser Entscheidung weist das BVerfG deutlich darauf hin, dass der strenge Prüfungsmaßstab bei Trennung von Kindern von seinen Eltern insgesamt (z. B. BVerfG, NJW 2015, S. 223) bei Entscheidungen zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf ein Elternteil nicht anzuwenden ist. Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz wenn der Prüfungsmaßstab hier derjenige ist, dass ein Mindestmaß an Kommunikation und Übereinstimmung der Eltern erforderlich ist und gerade nicht die Kindeswohlgefährdung bei Beibehaltung der gemeinsamen Sorge nachgewiesen werden muss.

Im Zusammenhang mit dem elterlichen Sorgerecht soll an dieser Stelle auch zwei Entscheidungen des OLG Brandenburg zur Thematik der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern Beachtung geschenkt werden:

Beschluss:
Gericht: OLG Brandenburg
Datum: 03.08.2015
Aktenzeichen: 13 UF 50/15~ §§ 1626 a, 1671 BGB
Quelle: NZFam 2015 Seite 935

Kommentierung:

In den Sorgerechtsverfahren, die sich bei nichtehelichen Kindern gegen die bisherige Alleinsorge nach § 1626a BGB richten, gilt die gesetzliche Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge, also der normative Vorrang dieser Sorgezuordnung (gemeinsame elterliche Sorge bei nichtehelichen Kindern) vor anderen Varianten. Diese gesetzliche Vermutung ist widerleglich.

Beschluss:
Gericht: OLG Brandenburg
Datum: 28.09.2015
Aktenzeichen: 13 UF 96/15~ §§ 1626 a, 1671 BGB
Quelle: NZFam 2015 Seite 935

Kommentierung:

Mit der Neufassung durch das Gesetz vom 16.04.2013 sind grundlegende Rechtsänderungen bewirkt worden: Einer positiven Feststellung der Kindeswohldienlichkeit väterlicher Mitsorge bedarf es nicht mehr. Vielmehr ist eine widerlegbare Vermutung eingeführt worden, ein gesetzliches Leitbild, das zur Geltung zu bringen ist, wenn Einwände gegen die Mitsorge ausbleiben oder nicht überzeugen. Nur wenn sich aus dem Vortrag der Antragsgegnerin oder aus anderen Erkenntnisquellen Gegengründe ergeben, darf es bei der Alleinsorge der Mutter bleiben.

Diese beiden Entscheidungen des OLG Brandenburg befassen sich mit der elterlichen Sorge nichtehelicher Väter. Aus gegebenem Anlass sollen auch diese beiden Entscheidungen unter der Rubrik „höchstrichterliche Entscheidungen“ mit aufgenommen sein, da sie auch das elterliche Sorgerecht betreffen und das BVerfG sich zu den hier aufgeworfenen Themen noch nicht abschließend geäußert hat. In beiden Fällen hatten die Mütter vorgetragen, dass es trotz funktionierenden Umgangs keine Möglichkeit gäbe, wichtige Belange des Kindes miteinander zu besprechen. Die Mütter befürchteten das Einmischen des Vaters in den Alltag. Es wurde vorgetragen, es fehle die nötige Kooperationsfähigkeit der Eltern, zukünftige Streitigkeiten seien vorprogrammiert, was zu erheblichen Belastungen des Kindes führen wird. In beiden Fällen geht das OLG Brandenburg davon aus, dass die Entscheidung, die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam zu übertragen, nicht dem Kindeswohl widerspricht. § 1626 a BGB formuliert, dass eine Sorgeübertragung hin zur gemeinsamen Sorge immer dann anzuordnen sei, wenn dies dem Kindeswohl „nicht widerspricht“ = negative Kindeswohlprüfung. Eine positive Feststellung der Kindeswohldienlichkeit bedarf es nicht. Wenn keine Gegengründe festgestellt werden können, geht das gesetzliche Leitbild davon aus, dass dann die gemeinsame Sorge zu installieren ist. Erst wenn aus dem Vortrag der Mutter oder aus anderen Quellen so konkrete Anhaltspunkte vorliegen, denen nachzugehen ist, muss das Gericht eigene Ermittlungen anstellen.

Allein der Vortrag, die Eltern seien zur Kommunikation miteinander nicht in der Lage, ist nicht ausreichend. Auch die Antragstellung durch den Kindsvater allein kann nicht auf eine Zerstrittenheit der Eltern geschlossen werden, anderenfalls sei kein Verfahren mit positiven Abschluss mehr denkbar. In beiden Verfahren hat das Gericht auch keine vollständige Verweigerung der Kommunikation gesehen, weil schließlich Absprachen zum Umgang etc. möglich sind. Weiterhin weist das Gericht daraufhin, dass es nur eine geringe Anzahl an sorgerechtlichen Entscheidungen gibt und es somit nicht häufig zu Streitpunkten kommen wird. Weiterhin wird ausgeführt, dass die gemeinsame Sorge dazu dienen wird, auch geglaubte unüberbrückbare Differenzen zu beheben, wenn die Mutter die Entscheidung als unliebsam aber verbindlich hinnehmen wird/muss.

Mit diesen Entscheidungen wird vermieden, zur Frage der „Zerstrittenheit“ auch noch ein Gutachten hereinzuholen. Jedenfalls geht das OLG Brandenburg von einer gesetzlichen Vermutung für das gemeinsame elterliche Sorgerecht aus, eingeschränkt durch die Widerlegbarkeit (so auch OLG Zelle NZFam 2014 S. 367~ OLG Nürnberg FamRZ 2015 S. 571). Die Rechtsbeschwerde zum BGH wurde zugelassen. Der BGH wird als höchstes Zivilgericht alsbald über diese Frage entscheiden, die Tendenz zur gesetzlichen Vermutung ist jedoch vorgegeben. In der Praxis wird es dann darauf ankommen, welche objektiven Kriterien vorliegen müssen um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Es wird auch die Gefahr bestehen, dass Betroffene (Mütter) ihr Verhalten zielgerichtet daraufhin einstellen, um eine vollständige Zerstrittenheit darzulegen. Das kann sogar soweit führen, dass dann in jedweder Lebenssituation auf Konfrontation gegangen wird und sogar ein bestehendes Umgangsrecht in Frage gestellt wird. Das wird dem Kindeswohl mit Sicherheit nicht dienlich sein und dem muss dann ggf. rigoros begegnet werden, ggf. mit Sorgerechtsentzug.