Cooperative Praxis (CP) – ein neues Konzept?

Die Welt des Rechts ist geprägt von einem ständigen Spannungsfeld zwischen Macht und Ohnmacht. Doch gibt es einen anderen Ansatz? Erfahren Sie mehr über die Cooperative Praxis (CP) – ein innovatives Konzept, das traditionelle Herangehensweisen in Frage stellt und neue Perspektiven für faire Lösungen eröffnet. Wir werfen einen Blick auf die Möglichkeiten des Einvernehmens.

Die Macht des Einvernehmens: Ein neuer Weg in der Rechtspraxis

Wer kennt ihn nicht, den Ruf nach Gerechtigkeit, den Ausruf: Ich will nur mein Recht! Es muss doch dafür Bestimmungen geben! Und die Antwort ist: Ja, wir haben eine Rechtsordnung. Das ist geregelt! Und es ist auch möglich, es passiert auch oft, das Erlebnis: Ich habe (mit oder ohne Rechtsanwalt) Recht bekommen! Die Genugtuung, das erhebende Gefühl von Stärke und Macht. Auf der anderen Seite sind da die Gefühle der Ohnmacht, der Chancenlosigkeit, die Abwertungs- und Verlusterfahrungen.

Das ist die andere Seite! Das Ergebnis ist oft für beide Seiten die Vertiefung der Spaltung und die Entstehung neuer Streitigkeiten und vielfältiger Kollateralschäden.
 Dem gegenüber steht das Einvernehmen! Das ist auch eine Macht, aber ein anderes Verständnis von Macht. Macht entsteht durch soziales Miteinander, sie entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln, sondern im Einvernehmen mit anderen zu handeln, sagt die Philosophin Hannah Arendt.

Und der philosophierende Politiker Habeck meint gar, das Wort Einvernehmen sei das Leitwort einer neuen Machtkultur. Im Einvernehmen bedeutet, schreibt er in seinem Buch „Von hier an anders“, dass man eine Entscheidung mitträgt, auch wenn man anderer Meinung ist, gerade nicht, dass man obsiegt, sondern die gefundene Lösung akzeptiert oder zumindest ihr Zustandekommen für gut erachtet.


Diese Leitlinie verfolgt ein neues Muster rechtsanwaltlicher Tätigkeit zur Erledigung von Rechtsstreitigkeiten, die Cooperative Praxis (CP). Eigentlich ist es kein neues Modell, sondern eine auch schon immer geübte Praxis pragmatisch und konstruktiv denkender Rechtsanwälte. Was neu ist, ist der Name und der Versuch einer Institutionalisierung, aber was auch und wirklich neu ist, ist die Proklamierung dieses Verfahrens in einer Zeit, in der die Unterschiede dieser beiden Lösungsmuster für Konflikte überall im globalen gesellschaftspolitischen Geschehen augenscheinlich werden.

Die Rolle des Rechtsanwalts im Wandel

Beschränkte man sich bisher - was die Tätigkeit eines Rechtsanwalts betrifft - mehr auf die Gegenüberstellung der Streitschlichtung durch den Antrag auf ein Urteil im Gerichtsverfahren hier und durch eine einvernehmliche Regelung mit Hilfe der Mediation, zu der für Rechtsanwälte eine gesonderte Ausbildung vorgeschrieben ist, dort, so soll durch dieses neue Modell der Cooperative Praxis einem Manko und auch einem gelegentlich stattfindenden Missbrauch des mediativen Verfahrens abgeholfen werden.

Der Hintergrund ist, dass in Rechtsstreitigkeiten ein Mediator nicht nur in gleicher Weise über juristische und kommunikative, geradezu gesprächstherapeutische Fähigkeiten verfügen muss, sondern darüber hinaus auch noch - wie es von einem Richter verlangt wird – neutral sein sollte. Dies widerspricht jedoch dem Selbstverständnis des Rechtsanwalts als Vertreter der Interessen einer Partei. Versucht er die Rolle als rechtskundiger Interessenvertreter mit der Rolle des Mediators zu kombinieren, kann er sich leicht dem Vorwurf des standeswidrigen Verhaltens aussetzen.

Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er im Gespräch mit beiden Parteien ein Einvernehmen erzielen will und dann, wenn doch ein Gerichtsverfahren erforderlich ist, z.B. bei der Ehescheidung, oder wenn keine Einigung zustande kommt, für eine Partei vor Gericht als Vertreter auftritt.

Man muss nicht Kognitionswissenschaftler oder Tiefenpsychologe oder Anhänger der kritischen Theorie („Es gibt kein Richtig im Falschen“) sein, um generell zu befürchten, dass bei diesem Verfahren einer, z.B. der finanziell „Mächtigere“, der bezahlt, oder auch nur der Fähigere, der Klügere besser wegkommt. Das wäre dann ein nur scheinbares Einvernehmen, oder gar eine Täuschung, ein Betrug.

Mediation vs. Cooperative Praxis

Der Unterschied zwischen der Mediation und der Cooperative Praxis besteht im Wesentlichen darin, dass bei der Mediation regelmäßig neben dem Mediator kein rechtskundiger Interessenvertreter tätig ist, während bei der Cooperative Praxis jede Partei einen eigenen Interessenvertreter hat, diese beiden Rechtsanwälte sich aber ausdrücklich verpflichten, zu kooperieren und ausschließlich nach einer außergerichtlichen Lösung zu suchen, d.h. in ihrer Rolle als Interessenvertreter ohne Gericht kompromissbereit ein Einvernehmen sozusagen mediativ zu erarbeiten und dem eigenen Mandanten auch dieses Ergebnis als gerecht zu vermitteln.

Ein wesentlicher Vorteil dieses Modells ist, dass der Laie sich nicht den juristischen Herausforderungen allein gegenübergestellt sieht und der Neutralität des Vermittlers auf Gedeih und Verderb vertrauen muss, sondern sicher sein kann, dass er mit seinen Interessen fachkundig vertreten ist. Die Anwälte stehen ganz anders als in ihrer sonstigen Rolle für Offenheit und Fairness im Umgang mit dem Gegenüber.


Es versteht sich von selbst, dass Grundlage eines solchen Verfahrens die Beachtung eines ganz besonderen Verhaltenskodexes ist, ein Kodex, wie er beispielsweise vom gemeinnützigen Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV e.V.) für die ihm angehörenden Kontaktanwälte verlangt wird.

Die Grundprinzipien moderner Streitschlichtung

Wenn Vereinbarungen unter absolut fairen und angemessenen Bedingungen entstanden sind, schreibt der amerikanische Philosoph John Rawls in seinem Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“, dann spricht das dafür, dass die erarbeiteten Vereinbarungen auch gerecht sind.

Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch ein solcher Rechtsanwalt, falls erforderlich, streitbar ist und auch sein muss. Oft muss einem uneinsichtigen Partner – auch mit Hilfe des Gerichts – klargemacht werden, was nach allgemein anerkannten Grundsätzen, d.h. nach den gesetzlichen Regelungen, Sache ist.

Auch für den mediativen Verhandlungsstil gilt natürlich, dass vor jeder Kompromissbildung erst einmal das Erkennen und Herausarbeiten der eigenen Bedürfnisse, des eigenen legitimen Bedarfs erfolgen muss. Es ist die absolute Voraussetzung einer fairen einvernehmlichen Regelung, dass zunächst einmal die dialektisch im Widerspruch stehenden Interessen der Parteien klar werden. Dennoch ist die Konsenserzielung die eigentliche Arbeitsleistung, der Schwerpunkt dieser anwaltschaftlichen Tätigkeit.


Was hier mit den vorstehenden Ausführungen aber vor allem verdeutlicht werden sollte: Dieses Verfahren kennzeichnet einen ganz spezifischen, einen zeitgemäßen, einen modernen Stil des fairen Umgangs miteinander, eines Stils, der ganz anders geeignet ist, Probleme zu lösen, gesellschaftlichen Streit zu schlichten und Frieden zu stiften.

Cooperative Praxis im ISUV-Podcast

Was Cooperative Praxis konkret bedeutet, wie es abläuft, was es kostet und welche Vorteile dieses Verfahren hat -  erzählt Klaus Zimmer in Folge 9 des ISUV-Podcasts. Er ist Mediator, ausgebildet in Cooperativer Praxis, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht und ISUV-Kontaktanwalt.



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